von Marianne von K**

9. Oktober 1837
Man will den Frauen die Feder streitig machen, und doch verstehen sie oft besser zu schreiben als die geistreichsten Männer; ja, es gibt ein Fach, wo ihr Schriftstellertalent noch von keinem Manne erreicht wurde – ich meine, im Briefschreiben. Ich will nicht von den Schriftstellerinnen par métier sprechen, obgleich die Männerliteratur nur wenige epistolarische Muster aufzuweisen hat, welche den Lettres de Madame Sévigne und den Briefen von Rahel [Varnhagen] gleichzustellen sind; sondern ich meine hier jene weiblichen Schriftstellerinnen, die, wenn sie die Feder auf das Papier setzen, keinen Gedanken an die Öffentlichkeit haben, die sogar verzweifeln würden, wenn die Briefe, die sie schrieben, von einer anderen Person noch gelesen würden als von der, an welche sie solche richten. Ich meine die Briefe, die das liebende Mädchen an den Mann ihrer Wahl, die einsame Gattin an den fernen Gatten, die Tochter an die Eltern, die Mutter an ihre Kinder schreibt; kurz, alle jene Briefe, wo das Gemüt die Feder führt. Hier kann der Mann dem Weibe nie gleichkommen! Das einfachste Mädchen weiß da eher Gefühl und Ausdruck zu verschmelzen als der gebildetste, gelehrteste Mann. Der Brief ist das Eigentum des Weibes; in der Konversation gebietet ihr Würde und Klugheit, ihre Gefühle zu verschweigen, im Briefe darf sie selbe aussprechen. Der liebende Mann taucht seine Feder in Flammen, die Frau taucht sie in ihr Herzblut. Der Brief des Mannes trägt die Farbe seines Geistes, der Brief der Frau trägt die Farbe ihres Gemütes. Mögen sie uns immer vorwerfen, dass wir die Rechtschreibung vernachlässigen; das Rechte zu schreiben, verstehen wir besser als sie.
11. Oktober 1837
Langweilige Visiten haben für Frauen einen großen Vorteil; sie üben ihre Geduld. Das Lustspiel: »Die bezähmte Widerspenstige« enthält eine etwas sonderbare und abenteuerliche Kur, wodurch ein junger Offizier seine wilde und ungeduldige Frau zur Sanftmut und Schmiegsamkeit bringt. Ich weiß eine weit leichtere, natürlichere und erfolgsicherere. Es ist kein Geheimnis, und die ganze Heilmethode ist sehr gut auszuführen. Jeder junge Ehemann darf nur in den ersten Wochen nach seiner Vermählung alle alten und verlegenen Basen, Muhmen, Tante und Schwägerinnen heimlich einladen und ihnen zureden, seine liebe Frau fleißig mit ihrem Besuche zu beehren; das ist eine Kur, gegen welche Gräfenberg, Ischl und die »bezähmte Widerspenstige« in nichts zerfallen. Eine junge Frau, die vier, fünf Wochen lang von solchen Visiten bearbeitet wird, und wäre sie vor der Hochzeit so wild wie ein Falke gewesen, ist in kurzer Zeit milder und geduldiger als eine Taube.
Mit Recht ist die Weltgeschichte weiblichen Geschlechtes; ist sie doch die größte Plauderin, die es auf Erden gibt! Kein Geheimnis, und beträfe es Fürsten und Kronen, ist vor ihrer Zunge sicher – sie plaudert alles aus. Nur in einem Punkte macht sie eine Ausnahme: Sie schont ihre eigenen Kinder nicht, und ihr böser Leumund wendet sich auch gegen ihre größten Söhne. Darum hätte man die Geschichte immer männlichen Geschlechtes sein lassen können, denn nur der Mann ist fähig, sein Kind dem Recht zu opfern. Das weibliche Geschlecht hat keine Brutustat aufzuweisen, und das ist ein größerer Ruhm, als wenn sie solche hätte.
10. November 1837
Unterläge der biegsame Stoff in uns Frauen nur immer einer bildenden Meisterhand, so würden Formen daraus hervorgehen, die alle Bereiche des Guten, Schönen und Sittlichen in sich fassten. Das Weib wird meistens durch zufällige Umgebung innerlich geschaffen; der Mann aber, der echte, schafft sich selbst seine Umgebung, er passt sie seinen Vorzügen und seinen Fehlern an. Darum klage der Mann nie die Gebrechen und die Missverhältnisse eines weiblichen Charakters an, denn die Klage fällt auf sein eigenes Haupt zurück; der weibliche Charakter ist nur ein Spiegelbild, die Gestalt, die es zeigt, ist ein Abbild jener, die sich vor dem Spiegel seiner Seele stellte. Der Geist des Weibes und ihre Phantasie gleichen jener Quelle, aus welcher der Erzvater Jakob seine Herden tränkte. Sind es fleckige Schafe, die jene Quelle umstehen, so spiegelt sie auch ein fleckiges Bild zurück; doch lasset nur weiße Lämmer sie umgeben, da wird auch die Gestalt in der Quelle weiß und rein sich euren Blicken zeigen! Darum soll der Mann nie seine Frau anklagen; ihre Fehler sind nur der Widerstrahl der seinigen. Würde er mit kräftiger Hand in den weichen Ton bildend greifen, und würde diese Hand eine reine, unbefleckte sein: er würde, jenem Künstler gleich, vor dem Gebilde, das er selbst geschaffen, niederknien – und es anbeten.
Textnachweis
Aus: Der Telegraph
II. Jg., No. 121, 9. Oktober 1837, S. 500.
II. Jg., No. 122, 11. Oktober, S. 504–505.
II. Jg., No. 135, 10. November, S. 558–559.
(Die Orthografie wurde der neuen deutschen Rechtschreibung angepasst, die Interpunktion behutsam modernisiert. Offensichtliche Satz- und Druckfehler wurden stillschweigend ausgebessert.)
Titelbild
Detail aus: Amalia Lindegren, Augusta von Fersen, 1844