von Irene Forbes-Mosse (1864–1946)

Nachdem die Gräfin Rhoden, das Fräulein von Dieveneck und die dem Haushalt der jungen Herzogin zuerteilten Kammerfrauen derselben eine tiefe Reverenz gemacht, welche von der Neuvermählten in ihrem großen, von Seide und Federbüschen überdachten Bett durch ein unbehagliches und darum hochmütig wirkendes Nicken erwidert wurde, blieb Ihre Hoheit allein.
Dieses Gemach, in welchem sie nun zum ersten Male ruhte, wirkte beklemmend, und wenn man bei Betreten desselben der hochgebornen Frauen gedachte, die alle, nach altem Brauche, hier ihre Brautnacht verlebt hatten, so war es wie Gespenster, aus sammetverbrämten Särgen auferstanden, dass man sie, blass und wartend, umhergehen sah. Aber jung und warm und lebensdurstig, nein, das ging hier nicht an.
Ihre Hoheit dehnte die kleinen, brennenden Füße, die den ganzen, langen Hochzeitstag so schrecklich wehgetan. Gott, sie war auch so furchtbar echauffiert gewesen, und das Bewusstsein davon, unter all den neugierigen Blicken, hatte ihre runden, ach zu runden Wangen immer heißer und röter werden lassen. Aber das wurde jetzt besser, in der Dunkelheit.
Sie war ein wenig eingeduselt; nun fuhr sie wieder auf. Ihr Herz klopfte so rasch: Es war doch etwas Erstickendes mit all dem Damast an den Wänden; wenn man nur ein Fenster öffnen könnte! Wie lange lag sie wohl schon da? ………… Diese kleine Dieveneck war eigentlich niedlich, mit amüsanten Augen, so ein bisschen chinesisch. Ja, aber auf Freundschaften musste sie hier wohl verzichten. »Sei recht vorsichtig« – das war der Kehrreim aller Ermahnungen gewesen bis zum letzten Augenblicke, als sie das töchterreiche Schloss ihrer Eltern verließ.
Sie seufzte, so tief es ihre durch rechtzeitiges Schnüren wohlerzogene Lunge vermochte, und wollte sich eben etwas anders legen, denn die große Seidenrolle knirschte so ärgerlich unter ihrem Genick, als sie auf dem Kies unter den Fenstern Pferdegetrappel und leises Sprechen vernahm. Sie stützte sich auf den Ellbogen und zog die Knie ein wenig an, ihre fein gezeichneten Brauen hoben sich, strebten einander zu, wie zarte, zuckende Fühlhörner: Das war ja ihres Vetters, ihres jungen Gemahls Stimme, sie hatte ihn gleich erkannt; und jene andre, tiefere auch, die ihr unlieb war wie mit der Hand über Sammet zu streichen. Noch einen Augenblick, dann trabten die Pferde davon, erst weich klingend über den Kies, als ob bei jedem Schritt ein Beutel voll Silber leise aufschlüge, dann sacht dröhnend; ja, sie ritten über die Brücke, die zur Allee führt.
Plötzlich war sie aus dem Bett geglitten und rannte auf schmerzenden Füßen den Fenstern zu. Sie griff in den schweren Damast, der Geruch alter Seide fuhr ihr ins Näschen, sie blickte hinaus in die fremde, nächtige Welt.
Gradaus, mitten in der Allee, zwischen den Platanen, die weißgefleckt im Monde standen, sah sie zwei Reiter. Dort war die Erde mit kurzem, moosigem Rasen bedeckt, wie mit einem Fell; geisterhaft, ohne einen Laut, konnte man darüber wegtraben, das wusste sie … und sie sah, wie die Reiter kleiner wurden, undeutlicher, bis sie ihren Augen ganz verloren gingen, in den weißen Dunst hinein, zwischen den Bäumen. Ja, oder war’s, weil sie ein bisschen kurzsichtig war?
Sie ließ den Vorhang fallen, sie tappte sich zurück in ihr großes Bett; es war ganz kalt, sie lag erst starr, und nur langsam, nicht auf einmal, fing sie an zu weinen, lautlos und ergiebig, weinte über die erste, schwere Kränkung ihres Lebens ……
Es hatte sich aber begeben, dass der junge Herzog, als er, von Wein erhitzt und der hergebrachten, platten Witze seiner Vettern überdrüssig, sich zurückzog zur Nacht, auf der Treppe mit dem Stallmeister, Herrn von Holk, zusammentraf, dessen Blick er den ganzen Tag wie eine weiche Last im Nacken gespürt hatte. Derselbe stellte sich ehrfürchtig an die Wand, um den Gebieter vorbeizulassen, sah denselben auch gar nicht an, sondern blickte bescheiden auf die Spitzen seiner tadellos sitzenden Reiterstiefel. Vielleicht war aber doch ein leichtes, mitleidiges Zucken unter seinem rötlichen Schnurrbart gewesen, genug, der Herzog fühlte sich genötigt, ihm zu winken und dann, noch im Vorzimmer seiner Privatgemächer, wo die wartenden Lakaien lautlos auseinanderstoben, dem ergebenen Diener und Vertrauten klarzumachen, dass er sein eigner Herr, dass von Zwang oder Überredung keine Rede sei, dass ihm diese gespreizte Wichtigtuerei wegen der Erbfolge nur lächerlich dünke, und das Geschwätz scheinheiliger Hofprediger erst recht; und dass, wenn er auch seiner Mutter zu Gefallen die kleine Kusine mit dem spitzen Kinn zum Altar geführt, und es ja vielleicht auch das Vernünftigste gewesen sei, er sich seine Freiheit, seine Freude am Augenblick nicht rauben lassen, sondern sie erst recht mit Argwohn, wie ein verbrieftes Recht, behüten würde. Das möchten sich auch seine Untertanen gesagt sein lassen, nun er großjährig sei, ob er auch oft Langmut walten ließe, wo andere mit Strenge und Gerechtigkeit vorgingen – ihm sei nun einmal dies zu Gerichtsitzen und dieser unnatürliche Abstand zwischen Herrscher und Volk ein Gräuel – aber zu toll dürften sie’s auch nicht treiben, und bei Übergriffen, da knackte etwas in ihm, da sei er fähig, ohne das geringste Bedenken seinem Gegner das Genick zu brechen ……
Dies alles von kurzen, etwas harten Handgebärden begleitet, wie sie lebhaften, unreifen Menschen eigen sind, die schon nach vielem zu greifen gelernt, aber noch keine Zeit hatten, sich im Halten zu üben.
Vom Stallmeister gefolgt, war er sodann in seine Gemächer gegangen, um nach kurzer Zeit, gestiefelt und im dunklen Reitermantel, herauszukommen. Durch Seitengänge, eine Wendeltreppe hinab, schritten die beiden den Ställen zu.
Dieser warme Pferdedunst, als sie eintraten, hatte etwas Berauschendes. Hunde fuhren knurrend aus dem Stroh, Stallknechte schnarchten in finstern Ecken, von Herrn von Holks leisgrollender Stimme zurückgescheucht, wenn sie schlaftrunken herbeitaumelten, Strohhalme im Haar, rot und zwinkernd unter den tiefhängenden Laternen.
Zwei Pferde standen bereit, gesattelt, mit den Köpfen nach vorn gestellt, mit dem tiefen, abenteuerlichen Licht in den Augen, das edlen Pferden in der Nacht zu eigen ist. Sie wieherten gedämpft, verstehend, als der Stallmeister in ihre Nähe kam.
»Du hattest schon satteln lassen, Holk?«, sagte er junge Herzog, und eine kleine Wolke ging über sein Gesicht.
»Eurer Hoheit Wünsche sollen stets rasch in Erfüllung gehen, soweit sie in mein Departement gehören«, erwiderte der Stallmeister; und wieder legte sich sein Blick wie ein weicher, lastender Druck auf des Herzogs Genick, auf seine Arme und hastigen Hände, die eben am Kopfzeug des Pferdes nestelten.
»Ja«, sagte der Herzog und lachte ein bisschen schrill, »Wünsche darf man nicht kalt werden lassen.«
Auf einen leisen Ruf des Stallmeisters kam ein Stalljunge mit krausblondem Kinderkopf auf dem Nacken eines jungen Gladiators herbei, und führte das Pferd des Stallmeisters, der selber mit dem seines Herrn voranging, ins Freie. Wieder fuhr ein Hund aus einer Ecke hervor, Gestalten richteten sich im Stroh auf, sanken wieder hinein in die Dunkelheit, das Rascheln, das leise Klirren, der warme, beißende Geruch blieben zurück.
Herr von Holk hielt dem Herzog den Bügel, dann sprang er selbst auf, der junge Stallbursche reichte ihm die Peitsche und blieb ganz starr und weiß im Mondlicht stehn und blickte ihnen nach, mit weichem Mund, mit überwachen, strahlenden Augen. Sacht ritten die beiden über den kiesbedeckten Hof. Die Fenster der jungen Herzogin glänzten. Da gab der eine sich einen Ruck. »Eine Stunde, Stallmeister«, sagte der Herzog, und seine knabenhafte Stimme klang dunstig in all dem Tau und der schwimmenden Klarheit.
»Alle Stunden meines Lebens, so lang und so weit Eure Hoheit befiehlt«, sagte der Mann und grüßte. Und dieser stolzweiche Gruß war wie die Liebkosung einer Hand, die sehr leicht sein kann, weil sie sehr stark ist.
So ritten sie davon, über den tiefen Kies, dass es klang wie ein Beutel voll Silber, der leise aufschlägt bei jedem Schritt, und dann, sacht dröhnend, über die Brücke, und weiter, nun fast ohne Widerhall, in schnellerem Tempo, über den Sammet der Allee, zwischen den großen, fleckigen Platanen, hinein in die weiße, schwimmende Ferne.
Textnachweis
Aus: Die Neue Rundschau, Oktober 1913, S. 833–836. (Die Orthografie wurde der neuen deutschen Rechtschreibung angepasst, die Interpunktion behutsam modernisiert. Offensichtliche Satz- und Druckfehler wurden stillschweigend ausgebessert.)
Titelbild
Detail aus: Agnes Slott-Møller, Isolde, 1907