Frühe Gedichte

von Hilda Bergmann (1878–1947)

Die Windmühle

Sie ragt vom Hügel dunkel in die Bläue
Und lässt die schweren Flügel langsam kreisen.
Ihr Freund, der Wind, umfächelt sie aufs neue,
Summt ihr ins Ohr die oft gehörten Weisen.

Die Lieder kennt sie längst. Und kennt auch ihn …
Bei seinem Singen ist sie grau geworden.
Wie oft sah sie ihn treulos weiterziehn
Und wiederstürmen dann aus fernem Norden.

Sie fühlte manchmal bange Sehnsuchtsqual,
Wenn regungslos sie in die Weite blickte –
Und dann Erfüllungsschmerzen, wenn brutal
Er seine Schauer ihr zum Gruße schickte.

Jetzt eben kehrt er wieder. Doch ihr Herz
Ist abgestumpft und wunschlos. Sonder Klagen,
Doch flügelmüde starrt sie himmelwärts,
Er hat nichts mehr – gar nichts mehr zu sagen …

Der flammende Abend

Stehen oft auf goldnem Grunde
Blasse Heiligenfiguren,
Sichtbar tragend ihre Wunde
Und das Zeichen der Torturen,
Starren Blicks, in starren Falten
Die Gewänder, – die Gesichter
Der verneinenden Gestalten
Ohne Leben – ohne Lichter – –

Heute haben Ströme Goldes
Schwer den Himmel übergossen
Und der Abend hat ein holdes
Farbenzauberspiel erschlossen:
Maiengrüner Blätter Schwanken
Auf dem Goldgrund. Und das Leben
Selber scheint dem Frohgedanken
Der Bejahung recht zu geben.

Die junge Nonne

Weiße Flügel über schwarzem Kleid, –
aber keine, die ins Leben tragen.
Ihre stumme Sprache heißt Entsagen,
alles Irdische heißt Eitelkeit.

Augen, deren Blick zu Boden geht,
Lippen, welche betend sich bewegen,
denn – die Welt ist böse und es steht
die Versuchung lockend an den Wegen.

Und sie sieht nicht, dass die Sonne scheint,
Sündenfurcht hält ihren Sinn umnachtet.
Ob der Gott, dem sie zu dienen meint,
dieses Leben als gelebt betrachtet?

Weiße Flügel über schwarzem Kleid, –
sie beschatten kinderweiche Züge.
Ob nicht einst aus Irrtum und aus Lüge
diese Seele um Erlösung schreit?

Und es will Abend werden

Ein Tag: er ahnt es kaum, dass er der letzte
von allen schönen ist. – Doch scheint es nicht,
als blaut’ sein Himmel blauer und als netzte
ihm eine Tränenspur das Angesicht?
Liegt nicht die Sonne wärmer auf den Hängen
und zärtlicher als jemals hingebannt –
und zieht nicht mit den Abendglockenklängen
schwermütig Abschiednehmen durch das Land?

Und eine Stunde, die von allem leuchtet,
was nur die Welt an Schönheit geben kann:
Warum hat sich das Auge dir gefeuchtet,
was für ein leiser Schauer weht dich an?
Ist es der letzte Becher, den das Leben
rosenumwunden deinen Lippen neigt,
um dann den dunkeln Schleier wegzuheben,
der vor der Zukunft liegt und sie verschweigt?


Textnachweis
Die Windmühle, aus: Die Muskete, 20. Februar 1908, S. 165.
Der flammende Abend, aus: Neues Frauenleben, XXIII. Jg., Juli 1911, Nummer 7, S. 194.
Die junge Nonne; Und es will Abend werden, aus: Neues Frauenleben, XVI. Jg., Juli 1914, Nummer 7, S. 220–221.
(Die Orthografie wurde der neuen deutschen Rechtschreibung angepasst, die Interpunktion behutsam modernisiert. Offensichtliche Satz- und Druckfehler wurden stillschweigend ausgebessert.)

Titelbild
Detail aus: Tina Blau Dordrecht

Herbstgedichte

von Hilda Bergmann (1878–1947)

Herbst

Gehst du wieder, Fackeln in den Händen,
Hängen zu, die du mit Feuer färbst,
sanfter dann zu blumigen Geländen,
Farbigkeit noch einmal zu verschwenden,
ehe deine Sonnentage enden,
bunter Herbst?

Ach, schon raubt der Frost von deinem Feste,
was der Wind des Nordens übrig ließ:
Blätter taumeln trunken vom Geäste
und bedecken welke Rasenreste
wie ein goldnes Vlies.

Bald, – und auch die hundertjähr’gen Linden
geben ihren Schmuck den Stürmen preis.
Und die Teiche, offen allen Winden,
fühlen ihren Augenstern erblinden
jäh im Eis.

Das gelbe Blatt

Auf glatter Fläche schwimmt ein gelbes Blatt,
wer weiß, aus welcher Ferne hergeweht.
Des Windes leichte Hand hat es gesät
in einen Teich unweit der großen Stadt.
Es schwebt wie eine Blütenflocke, die
ihr leuchtend Gold dem Wassergrün vermählt:
ein Stückchen Leben, licht und glanzbeseelt
auf einem Grunde von Melancholie.

Sanfter Herbst

Ein sanfter Herbst geht seinem Ende zu
Die Bäume, schon im Purpur der Vergängnis,
schwer von der Früchte reifender Bedrängnis,
ermüdeten und sehnen sich nach Ruh’.

Vom Pflug zerrissen liegt das Land im Hauch
des blauen Tags. Es strömt aus jeder Rille
Geruch von Erde. O geliebte, stille,
verträumte Zeit! Was macht es, wenn dann auch

der Winter kommen muss nach dem Gebot,
dem das Geschaffne hörig ist und pflichtig?
In dieser Stunde ist nur eines wichtig:
das Leben lieben treu bis in den Tod.

November

Nun gießt das Jahr aus dem geneigten Kruge
die letzten Tropfen glänzend-bunten Scheins.
Gerötet sind die Ranken wilden Weins.
Wildgänse schreien im Vorüberfluge.

Geerntet ist, was Feld und Wiese boten,
geborgen alles ackerauf- und ab.
Dort drüben auf dem Erntefeld der Toten
entbrennen Kerzen über jedem Grab.

Auf jedem Hügel weiße Chrysanthemen.
Es ist, als wollte deren mildes Licht
wie Freundeshand dich bei den Händen nehmen,
dich trösten wie ein Freundesangesicht.

Es ist, als raunt’ es in den Friedhofseschen:
»Bald kommt ihr nach, ihr Wandrer in der Zeit.
Lasst nur die Leuchte Liebe nicht erlöschen
und seid gesammelt, still und schnittbereit.«

Raureif

Raureif hat heut’ den Garten eingehegt
und sein Gezweig in Hauch und Flor gefangen.
Jedweder braune Strauch am Wege trägt
Kristallgeschmeide und Korallenspangen.

In feinstem Zug dem Leben nachgespürt
bildet der Frost als Künstler die Gedanken:
Nie hat ein Goldschmied feiner ziseliert
solch Gitterwerk von Blatt und Silberranken.

Nie hat ein Dichter freier überspannt
die Welt mit einem Wundernetz von Blüten.
Heut’ morgen ist der Park ein Märchenland
und in Legenden eingewirkt und Mythen.

Er strahlt in seiner ungewohnten Haft,
hoch in der Luft krächzt missvergnügt ein Rabe.
Ich aber seh’ vor solcher Meisterschaft,
wieviel, wieviel ich noch zu lernen habe …


Textnachweis
Herbst, aus: Hilda Bergmann, Zünd Lichter an. Gedichte, Wien 1936, S. 22.
Das gelbe Blatt, aus: Am häuslichen Herd. Schweizerische illustrierte Monatsschrift, 50. Jg. (1946–1947), 5. H., S. 93.
Sanfter Herbst, aus: Am häuslichen Herd. Schweizerische illustrierte Monatsschrift, 46. Jg. (1942–1943), 2. H., S. 38.
November, aus: Am häuslichen Herd. Schweizerische illustrierte Monatsschrift, 46. Jg. (1942–1943), 3. H., S. 65.
Raureif, aus: Jugend, Jg. 1925, Heft Nr. 49, S. 1174.
(Die Orthografie wurde der neuen deutschen Rechtschreibung angepasst, die Interpunktion behutsam modernisiert. Offensichtliche Satz- und Druckfehler wurden stillschweigend ausgebessert.)

Titelbild
Detail aus: Olga Wisinger-Florian, Friedhof in der Dämmerung

Schönbrunn (Drei Gedichte)

von Hilda Bergmann (1878–1947)

Schönbrunn

In diesem Garten schlummert noch Alt-Wien.
Wie einstens steigt das Wasser der Fontänen
Und perlt nieder zu den blassen Schwänen,
Die ihre träumerischen Kreise ziehn.

Und hüllt den moosbewachsenen Delfin,
An dem verwitterte Najaden lehnen
In einen Schleier wie von tausend Tränen,
Die langsam in die grüne Tiefe ziehn.

Wird plötzlich nicht der tiefe Schlummer enden?
Ist hinter den verschnittnen Taxuswänden
Nicht junges Volk zum Schäferspiel versteckt?

Die kleinen Amoretten stehn und lauschen – –
Doch nur des Springquells monotones Rauschen
Erfüllt den Park. Alt-Wien bleibt unerweckt.

Nymphe in Schönbrunn

Als wären sie aus Stein, die grünen Mauern,
so stehn sie hart ins blasse Blau gebannt:
vom Sonnengold umfasst und hell gerändert,
seit Urgroßvätertagen unverändert
und alle zu dem gelben Schloss gewandt,

das weltverloren, mit geschloss’nen Lidern
inmitten all des grellen Lichtes steht,
ein alter Träumer, dem das Spiel des Lebens
umsonst den Fuß umschmeichelt, dem vergebens
ein fremd Jahrhundert um die Stirne weht.

Und mit ihm träumt der ganze weite Garten.
Nur eine Nymphe beugt sich vor und späht,
das Auge von der Marmorhand beschattet,
und wartet Tag um Tage unermattet,
ob nicht die alte Zeit  vorübergeht.

Herbst in Schönbrunn

Verschwenderische Tage und Gebärden,
Wenn alle Sträucher Gold und Purpur tragen
Und wenn die alten Bäume Fackeln werden,
Aus denen lichterloh die Flammen schlagen.
Den Park erfüllt ein Leuchten, Glühen, Prangen,
Ein Farbenrausch durchzittert die Alleen,
Und leisen Fußes kommt der Herbst gegangen,
Im Blätterrieseln, um sein Werk zu sehen.

Er rührt mit leichtem Finger die Platanen,
Damit ihr gelber Regen niederflute,
Er nimmt den Ulmen ihre bunten Fahnen
Und winkt, dass sich der wilde Wein verblute;
Und in die Brunnen, über die Amphoren
Verstreut er händevoll die vielen losen
Braungoldnen Blätter und bekränzt die Horen
Und Grazien damit, anstatt mit Rosen.

Dann spinnt er blaue Schleier um die Gänge,
Die vielverschlungen ineinandertauchen,
Lässt der Fontänen heitere Gesänge
Mit einem Mal verstummen und verhauchen,
Spielt mit der Trauerweide langen Haaren
Und mit der Birken flimmernden Gewändern.
Und in den Lüften ziehn die Wanderscharen
Der wilden Vögel nach den Sonnenländern.


Textnachweis
Schönbrunn, aus: Neues Frauenleben, XXIV. Jg, Heft 10, Oktober 1912, S. 279.
Nymphe in Schönbrunn, aus: Moderne Welt, Jg. 1924, Heft Nr. 24, S. 7.
Herbst in Schönbrunn, aus: Jugend, Jg. 1923, Heft Nr. 21, S. 618.
(Die Orthografie wurde der neuen deutschen Rechtschreibung angepasst, die Interpunktion behutsam modernisiert. Offensichtliche Satz- und Druckfehler wurden stillschweigend ausgebessert.)

Titelbild
Detail aus: Josephine Siccard-Redl, Schönbrunn

Sommermittag

von Hilda Bergmann (1878–1947)

Die Erde liegt wie eine reife Frucht
In Glanz gebettet im Hochmittagsschweigen.
Die Grillen haben aufgehört zu geigen.
Allgegenwart des Lichts: Das Auge sucht
Vergeblich nach den Wolken in der Bläue,
Vergeblich nach dem Schatten in der Glut.
Jetzt musiziert das Grillenvolk aufs Neue,
Indes verborgne Lebenssäfte steigen
Und das Geschaffene in Sonne ruht.

O Meer von Leuchten! Wiegendes Getreide,
Kornblumenfarbe, flammendroter Mohn,
Lied ohne Ende sommerlicher Freude!
Von ferne her gewittert Glockenton,
Nein, Glocken singen anders, Weidenrohr
Von Hirtenmund geblasen, mag so klingen.
O Tor!
Pans Flötentöne schwellen an dein Ohr
Und schenken sich, umzirpt vom Grillenchor,
Geschwisterlich den daseinstrunknen Dingen.


Textnachweis
Aus: Jugend. Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben, 1926, Heft 37, S. 730. (Die Orthografie wurde der neuen deutschen Rechtschreibung angepasst, die Interpunktion behutsam modernisiert. Offensichtliche Satz- und Druckfehler wurden stillschweigend ausgebessert.)

Titelbild
Detail aus: Maria Oakey Dewing, Mohnblumenbeet, 1909

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