Fünf Lieder

von Helmina von Chézy (1783–1856)

Dort, wo sanfter wehn die Lüfte,
Wo der goldnen Primel Düfte
Wehen unter leichtem Schnee;
Wo durch kühne Felsenbogen
Mächtiger die Fluten wogen,
Möcht’ ich bergen all mein Weh!

Könnt’ ich je mit dir die Auen,
Die so wonnig blühen, schauen,
Wo der Frühling immer blüht;
Wo der Nachtigallen Klagen
Alle Sehnsuchtwonnen sagen,
Die mein trunknes Herz durchglüht!

Eitler Wünsche bunt Gewimmel!
Ist denn Erde mehr als Himmel,
Der in deinem Auge thront?
Stille, süße Blicke sagen
Mehr als Nachtigallenklagen;
Eden blüht, wo Liebe wohnt!

Lasst mich einsam lauschen,
    Wie mein Herz es will;
Wo die Bächlein rauschen,
    Wird die Seele still.

Lasst mich einsam träumen,
    Mild ist Waldesnacht,
Wo in grünen Räumen
    Träumend Sehnen wacht.

Lasst mich einsam weinen,
    Wo im goldnen Strahl
Tauesperlen scheinen,
    Süßer glänzt das Tal.

Lasst mich einsam singen,
    Weil mein Herz so schwer,
Auch die Blumen bringen
    Herz in Düften her.

Lauschen, klagen, träumen
    Wollen einsamlich
Hier in grünen Räumen
    Nachtigall und ich.

O Leben, das kein Leben ist,
Wo du nicht in der Nähe bist!

Es brennt dein Blick mir in der Brust,
Dort schafft er ewig Schmerz und Lust.

Manch liebend Herz ersehnt den Mai,
Ich wünschte, dass er ferne sei.

Manch Herz wünscht, dass die Rose glüht,
Mein Lenz nur blüht, wenn nichts mehr blüht.

Der Lenz, der Tal und Höhen schmückt,
Hat Herzens-Flur mir leer gepflückt.

Die Lerche, die den Frühling bringt,
Mit meinem Frühling fern sich schwingt.

Die Nachtigall, die Rosen liebt,
Für Rosen mir nur Dornen gibt.

Wenn alles duftet, glänzt und lacht
Erstarrt mein Herz in öder Nacht.

Man ratet, was mein Lied wohl meint?
Ach, Treue nur, die einsam weint.

Kannst du wieder leiden, lieben,
    Herz, das dumpfe Ruh’ umfing,
Ist die Kraft dir treu geblieben,
    Die im Sturm nicht unterging?

Ja, die Welt ist nicht mehr öde,
    Und das Leben nicht erstarrt,
Und das Herz sieht nicht mehr blöde,
    Teilnahmlos die Gegenwart.

Alles blüht und glüht im Innern,
    Reiches Leben quillt empor,
Selig Ahnen, süß Erinnern,
    Leuchtet durch der Wolken Flor.

Lieb’ und Hoffnung, milde Sterne,
    Strahlet auf die Wogen hin!
Ob der Irrfahrt Ziel noch ferne,
    Zeigt es hell dem gläub’gen Sinn.

Unter Wonnen, unter Schmerzen,
    Blühet mir ein Sehnen nur;
Sanfter Tod an treuem Herzen
    Und ein Grab auf stiller Flur.

Gib mir Nachtigallen-Klagen,
    Banges Lieben, süßes Leid,
Klagen wie in Frühlingtagen
    Sanft umwölkter Jugendzeit.

Hebt euch stürmend, Lebenswogen
    Besser Sturm als tote Ruh,
Düstre Wolken, kommt gezogen,
    Milder Strahl, erschein auch du.

Auf dem dunkeln Hintergrunde
    Blüht der Iris milde Pracht,
Und der goldnen Träume Kunde
    Leuchtet durch die Schmerzennacht.


Textnachweis
Dort, wo sanfter wehn die Lüfte, aus: Aglaja, Taschenbuch für das Jahr 1824, X. Jahrgang, Wien [1823], S. 77–78.
Lasst mich einsam lauschen, aus: Aglaja, Taschenbuch für das Jahr 1825, XI. Jahrgang, Wien [1824], S. 122–123.
O Leben, das kein Leben ist, – Kannst du wieder leiden, lieben, – Gib mir Nachtigallen-Klagen, aus: Aglaja, Taschenbuch für das Jahr 1826, XII. Jahrgang, Wien [1825], S. 147–149.
(Die Orthografie wurde der neuen deutschen Rechtschreibung angepasst, die Interpunktion behutsam modernisiert. Offensichtliche Satz- und Druckfehler wurden stillschweigend ausgebessert.)

Titelbild
Detail aus: Louise-Adéone Drölling, Interieur mit einer jungen Frau, die eine Blume abpaust, um 1820

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