Drei Gedichte

von Else Lasker-Schüler (1869–1945)

Morituri

Du hast ein dunkles Lied mit meinem Blut geschrieben –
Seitdem sind meine Lippen kalt und blass.
Du hast mich aus dem Rosenparadies vertrieben!
Ich musst’ sie lassen, alle die mich lieben.
Gleich einem Vagabund zieh’ ich fürbass.

Und in den Nächten wenn die Rosen singen –
Dann brütet still der Tod – ich weiß nicht, was …
Ich möchte dir mein krankes Herze bringen,
Den gift’gen Odem und mein mühsam Ringen,
Mein Weh und alles Kranke und den Hass.

Sehnsucht

Mein Liebster, bleibe bei mir die Nacht
Ich fürchte mich vor den dunklen Lüften.
Ich hab’ so viel Schmerzliches durchgemacht
Und Erinnerung steigt aus den Totengrüften.
Ich fürchte mich vor dem Heulen der Stürme
Und dem Glockengeläute der Kirchentürme
Vor all den Tränen, die heimlich fließen
Und sich über meine Sehnsucht ergießen.

Leg deinen Arm um meinen Leib,
Du musst ihn wie dein Kind umfassen –
Ich seh’ im Geiste ein junges Weib –
Das Weib bin ich – von Gott verlassen …
Mein Liebster, erzähle von heiteren Dingen!
Und ein Lied von Maienlust musst du singen!
Und herzige Worte und schmeichelnde sagen …
Damit sie die Raben des Schicksals verjagen.

Mein Liebster, siehst du die bleichen Gespenster?
Von mitternächtlichen Wolken getragen …
Sie klopfen deutlich ans Erkerfenster.
Ein Sterbender will »Lebewohl« mir sagen.
Ich möchte ihm Blüten vom Lebensbaum pflücken …
Und die Schlingen zerreißen, die mich erdrücken!
Mein Liebster, küsse, – küss’ mich in Gluten
Und lass deinen Jubelquell über mich fluten!

Phantasie

Ich schlummerte an einem Zauberbronnen
Die Nacht – und träumte einen stillen Traum –
Von Sternenglanz und Mondenblässe
Und silberhellem Wellenschaum.
Von dunkler Schönheit der Zypresse
Und von dem Glühen deiner Augensonnen.

Der Neumond kann sich nicht vom Morgen trennen –
Ich hör’ ihn mit den jungen Frauen scherzen. –
Im Tale blühen heiße Purpurrosen
Und Lilien, andachtsvoll wie heil’ge Kerzen
Und sonnenfarbig, goldene Mimosen
Und Blüten, die wie meine Lippen brennen …


Textnachweis
Aus: Das Magazin für Litteratur [sic], 69. Jg., Nr. 38, 1900, Sp. 666–667. (Die Orthografie wurde der neuen deutschen Rechtschreibung angepasst, die Interpunktion behutsam modernisiert. Offensichtliche Satz- und Druckfehler wurden stillschweigend ausgebessert.)

Titelbild
Detail aus: Juana Romani, Eine dunkelhaarige Schönheit, 1898

Ich träume so leise von dir

von Else Lasker-Schüler (1869–1945)

Immer kommen am Morgen schmerzliche Farben,
Die sind wie deine Seele.

O, ich muss an dich denken
Und überall blühen so traurige Augen.

Nächte wachsen aus meinem Kopf,
Ich weiß nicht, wo ich hin soll.

Und ich habe dir doch von großen Sternen erzählt,
Aber du hast zur Erde gesehn.

Ich träume so leise von dir,
Weiß hängt die Seide schon über meinen Augen.

Warum hast du nicht um mich
Die Erde gelassen – sage?


Textnachweis
Aus: Der Sturm. Wochenschrift für Kultur und die Künste, Jg. 1910, Nr. 9, S. 69. (Die Orthografie wurde der neuen deutschen Rechtschreibung angepasst, die Interpunktion behutsam modernisiert. Offensichtliche Satz- und Druckfehler wurden stillschweigend ausgebessert.)

Künstler

von Else Lasker-Schüler (1869–1945)

Herr von Kuckuck sitzt immer auf dem Fenstersims und schnappt mit seinem zugespitzten Mund alle meine todtraurigen Worte auf, die sonst im Zimmer liegen blieben, und ich würde schließlich in der Überschwemmung von Todtrauer ertrinken. Auch sieht er so spaßig bei der Fütterung aus, ich muss manchmal hell auflachen. Mein Mann kann von Kuckuck nicht ausstehn. »Er ist eine Beleidigung neben dir.« Aber ich muss immer einen Hofnarren haben, das ist so ein uraltes erbübertragenes Gelüste. Er folgt mir überall hin. Auf dem Salzfass sitzt er in der Küche, wenn ich am Herd stehe und mit dem Quirl dem Feuer behilflich bin – ich meine wegen des Weichwerdens der Erbsen. Ich trage goldene Pantoffel, aber in meinen seidenen Strümpfen sind schon Löcher. Herr von Kuckuck wird merkwürdig düster, immer wenn er auf dem Salzfass sitzt und meinem Kochen zusieht. Er erzählt von Prinzessinnen, die in Goldpantoffeln und Seidenstrümpfen kochen und scheuern müssen und sich die Hände blutig reiben, und aber der Himmel ihnen alle Sterne schulde. Ich glaube, ich bin am Anfang aus einem goldenen Stern, aus einem funkelnden Riesenpalast auf die schäbige Erde gefallen – meine leuchtenden Blutstropfen können vor Durst nicht ausblühen, sie verkümmern immer vor dem Tage der Pracht, und mein Mann erzählte mir dasselbe, und darum haben wir uns geheiratet. »Wenn sich mein Budget besser gestaltet«, sagt Herr von Kuckuck, »so braucht Prinzessin keine Erbsen mehr kochen.« Er verspricht es feierlich; zwei große Tropfen fallen aus seinen Augen, die sind lila, und die Feierlichkeit kleidet ihn so: eine Burleske, die plötzlich auf geraden rabenschwarzen Beinen steht. Ich rieche zu gern Ananas – ich glaube, wenn ich mir täglich eine Ananas kaufen könnte, ich würde die hervorragendste Dichterin sein. Alles hängt von Kuckucks Budget ab. Mein Mann, der wünscht sich gar nichts mehr, er denkt morgens schon heimlich an seine Zigarette, die er im Bett rauchen wird. Die Lampe zuckt, es ist alles so dünn im Zimmer. »Herein!« Eine Erbse klopft an meinen Magen. Kleine Beinchen bekommen die Erbsen und wackeln mit ihren dicken Wasserköpfen – eine plumpst den Berg herunter. »Bist du aufgewacht?« Mein Mann fragt und hebt den Zigarrenbecher vom Boden auf – dann streichelt seine Ananashand mein Gesicht – die Finger tragen alle Notenköpfe – sie singen – und immer, wenn das hohe C kommt, sägt mein Arm über seine Brust und seinen Leib, ich nehme die Gedärme hervor – eine Schlangenbändigerin bin ich – dudelsack ladudelludelli liii …! Ich schiebe die Schlangen vorsichtig wieder in seinen Körper, die kleinste hat sich fest um meinen Finger gesogen, aber sie ist die hauptsächlichste Schlange, sonst kann er keine indischen Vogelnester mehr essen. Ich gleite die Kissen herab, mein Kopf liegt in einem weißen Bach, alle Fische tragen Ketten von Erbsen um den Hals und schwimmen hinter mir über die flaue Matratze. Mein Mann wartet schon im Sessel. Im Rahmen über dem Schrank hängt von Kuckuck und über ihm sein Onkel Pankratius, einer der gestrengen drei Herren, und zählt – Budget, lauter goldene Schnäbel. Es wird alles so grau – ich habe solche Angst, ich verkrieche mich in die Achselhöhle meines Mannes. Auf dem Sofa sitzt ein Jüngling, er hat große, braune, spöttische Augen, die lächeln schüchtern. »Wer bist du!«, ruft mein Mann. »Ich bin der Schatten Ihrer Frau und habe Theologie studiert.«


Textnachweis
Aus: Der Sturm. Wochenschrift für Kultur und die Künste, Jg. 1910, Nr. 29, S. 228–229. (Die Orthografie wurde der neuen deutschen Rechtschreibung angepasst, die Interpunktion behutsam modernisiert. Offensichtliche Satz- und Druckfehler wurden stillschweigend ausgebessert.)

Titelbild
Detail aus: Alexandra Exter, Stillleben, 1913

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