Gedichte und Lieder

von Charlotte Löw

Verlorne Mühe

Jüngst sah er im Auge ihr glänzen
Die Träne, perlenhell;
Der Wehmut schien sie entsprungen –
Ein bittersüßer Quell.

Viel Fischlein drinnen baden
Auf seinem so düstern Grund:
Die Fischlein sind die Gedanken,
Gefleckt, wie Forellen, so bunt.

Schnell ward er lüstern, zu fischen
In diesem Gedanken-Meer.
Auswarf er das Netz und die Angel;
Er zog sie heraus – doch leer!

Und wieder glänzte im Auge
Die Trän’ ihr, perlenhell;
Doch lachend spitzt sich ihr Mündchen –
Geschwätzig spricht es und schnell:

»Gedanken wirst nimmer du raten,
Kündet sie dir nicht der Mund.
Im Trüben wirst du stets fischen,
Gibt der Gedanke im Wort sich nicht kund!«

Lieder

I.

Wenn ich auf meinem Lager ruh’,
Von Schatten eingehüllt,
Dann drück’ ich fest die Augen zu
Und träum’ vom lieben Bild.

Vom Bild, das sonst mit klarem Blick
Mich freundlich angeschaut,
Bis jede Wolke wich zurück,
Die meine Stirn umtaut’!

Von Worten, die beredt und mild
Durchdrangen Seel’ und Herz;
Und oft die Tränen mir gestillt,
Beschwichtigt oft mein Herz.

Wohl blicket klar noch jetzt das Bild,
Das Wort entströmt dem Mund;
Doch dass die Ferne sie umhüllt,
Das drückt das Herz mir wund.

Drum wenn ich auf dem Lager ruh’,
In Schatten tief verhüllt,
So drück’ ich fest die Augen zu
Und träum’ vom lieben Bild.

II.

Könnt’ ich das Herz heraus mir heben
Aus meiner grabesstillen Brust:
Wie wollt’ ich gute Wort’ ihm geben,
Bis es erwacht zu neuer Lust!

Wie wollte ich es eifrig pflegen,
Ihm Lieb’ einhauchen, glutenheiß,
Bis es in lebenswarmen Schlägen
Sich regte aus dem starren Eis!

Doch eingesargt im kalten Schreine,
Der Totenwürmer sich’rer Raub,
Verschlossen jedem Hoffnungsscheine,
Zerfällt es bald in leichten Staub.

In Staub, aus dem nicht Halm noch Blüte
Mit frischem Dufte je entquillt;
Die Brust, die einst vulkanisch sprühte,
Hat tote Lava jetzt gefüllt.

Kein Frühling

Wie es schwillt aus jeder Knospe,
Aus den Keimen steigt’s empor;
Wie es zwitschert in den Zweigen,
Freudig grüßt es Aug’ und Ohr.

Auch die Schwalben kommen wieder,
Und der Storch baut hoch sein Nest;
Und die bunten Schmetterlinge
Schwärmen froh nach Ost und West.

Blüte dränget sich an Blüte,
Zweig um Zweig die Arme schlingt;
Liebesfreuden, Lebensfreuden
Junger Frühling mit sich bringt.

Nur ein Veilchen tief im Busche
Steht vereinzelt da und sinnt,
Matten Blicks, gesenkten Hauptes,
Perlentau es leis’ durchrinnt.

Perlen, sagt man, deuten Tränen,
Tränenperlen künden Schmerz;
Armes Veilchen! ach ich ahne,
Was so früh zerknickt dein Herz.

Ungestillter Sehnsucht Schauer,
Rieselt kalt im Busen dir,
Und nach Sonne und nach Wärme
Lechzest du vergebens hier.

Sehnsucht schleicht gesenkten Hauptes
Mit dem tränumflorten Blick;
Schmerz weiß nichts von Lenzesjubel,
Sehnsucht nichts von Maienglück.


Textnachweis
Verlorne Mühe, aus: Der Wiener Telegraph, III. Jg., Nr. 8, 17. Januar 1838, S. 31.
Lieder, aus: Der Wiener Telegraph, III. Jg., Nr. 76, 25. Juni 1838, S. 309.
Kein Frühling, aus: Camellien. Almanach für 1840, Prag und Berlin [1839], S. 363–364.
(Die Orthografie wurde der neuen deutschen Rechtschreibung angepasst, die Interpunktion behutsam modernisiert. Offensichtliche Satz- und Druckfehler wurden stillschweigend ausgebessert.)

Titelbild
Detail aus: Amalia Lindegren, Augusta von Fersen, 1844

Lob des Schmerzes

von Charlotte Löw

Du mächtiger König mit dem blutgefärbten Purpur, dessen Palast gebrochene Herzen sind, dessen Gefolge Jammer und Tränen bilden, dessen Hofstaat aus bleichen Wangen und hohlen Augen besteht, auf deinem Altare will ich jetzt Weihrauch opfern!

Lobt man doch die Nacht und die Finsternis; lobt man doch den Winter mit seinen alles Leben zerstörende Frösten; lobt man doch Regen, Sturm und Ungewitter und all die Schattenseiten des Lebens, die dem Lichte zur Folie dienen – warum nicht auch ein Wort des Lobes für den Schmerz?

Das Ungetüm »Schmerz« ist für die menschliche Brust das, was die Seeungeheuer für die Tiefe des Meeres sind. Ohne diese raubgierigen Larven würde das große Weltmeer zu einem Pest aushauchenden Sumpfe, der mit polypenartigen Armen das ganze Weltall umfasste, dass es ersticke in seinen Umarmungen. Aber jene furchtbaren Seebewohner reinigen das heimatliche Element von dem Aase toter Fische und retten es von dem tötenden Dunste der Fäulnis. Also auch der Schmerz. Wie er auch mit seinen furchtbaren Flossen unsere Brust peitscht, dass es zum Himmel spritzt; so reinigt er doch unser Herz von den verpesteten Dünsten, die Zorn, Neid, Rachsucht und tausend andere Leidenschaften darin zurückgelassen haben. Wohl wühlt er unbarmherzig in unserem Innern; aber er gleicht dem Spaten des Bergmannes, der die reichsten Goldadern im Schoße der Erde entdeckt; – ein neues, längst verschüttetes Herculaneum steigt plötzlich ans Licht, eine Welt von Wundern erschließt sich; und indem wir mit ihm ringen, werden wir erst die kostbaren Schätze gewahr, die sich in der Menschenbrust gebettet haben. Er ist es, der den trägen Schläfern das »Erwache!« zudonnert, und geschäftig, gleich Bienenschwärmen, kreuzen sich Gedanken und Empfindungen in dem früher so wüsten Raume. Wohl gibt uns der anfangs überlegene Feind viel zu schaffen; doch an seiner Kraft stählt sich unsere Stärke; zum riesigen Kampfe aufgefordert, stehen uns auch außerordentliche Mittel zu Gebote, und wie die Lawine im raschen Sturze sich immer vergrößert, indem zum kleinen, unbedeutenden Schneeflocken sich Myriaden seiner Brüder gesellen, so vergrößert sich auch die Sicherheit unsers Innern durch die Aufforderung von außen. Unsere frühere stille Welt ist zwar zerstört; unsere geweckten tatkräftigen Gesinnungen hingegen schaffen sich neue Welten. Das früher unfruchtbare, brachgelegene Feld unserer Gedanken wird neu bebaut; mit schaffendem, emsigen Fleiße wird jedes Plätzchen urbar gemacht, um jetzt, durch unser eigenes Selbst, das in uns nun üppig blühende Leben zum keimenden, wuchernden und reifenden Saatfelde zu gestalten.

Nur im Schmerze beurkunden wir unsere göttliche Abstammung. Durch seine Gluten geläutert, gleichen wir dem Demant an Glanz und Klarheit; – die unreinen Schlacken unsers Innern hat sein Feuer verzehrt! Selbst die Freude, dieser ewige Antipode des Schmerzes, muss zur festeren Gründung ihres Reiches den Schmerz als Grundlage nehmen, wenn nicht die Pfosten ihres Thrones wanken, wenn nicht Gewohnheit und Stumpfsinn bald die Säulen ihres Palastes zernagen sollen! – Im Schoße des Glückes reift der Mensch keiner Vollkommenheit entgegen. –

Kein Schmerz, und wäre er der höchste, dauert ewig; die Zeit gleicht der Baumwolle, die um den Pfeil sich legt und auch die schärfste Spitze abstumpft und überwindet. Der überwundene Schmerz aber hat sich zu einem andern Wesen in unserem Innern gestaltet. Gleich der Raupe hat er sich eingesponnen, und von seinem Dasein gibt nur die Schwermut Kunde, die mit ihrem grauen Nebelschleier (sein Kokon) ihn bedeckt und deren milden Reflex wir so oft als Stempel höheren Seelenadels auf dem bleichen Menschenantlitze bewundern. Das Leben wird erst unser, wenn es sich wieder erzeugt in unserm Innern. Der Schmerz ist der edelste Reiz, der uns gleichsam zum Wettkampfe auffordert, die Verheerungen unsers Innern durch neues Leben zu ergänzen; – und er ist es wieder, der Herz und Geist mit seltener Produktivität begabt. Nennet ihn daher nicht den Verheerer, den Würgeengel unseres Lebens! – Er erschließt uns neue, unversiegbare Lebensquellen, lässt unsern Sinn zu jener Reife und Vollkommenheit gedeihen, durch welche Erdenleid und Erdenschmerz leicht besiegt werden, und bereitet uns endlich würdig zur letzten Katastrophe vor, wo aller Kampf und alles Mühen ein Ende hat und wo wir, Erdenleid und Erdenfreude tief unter uns lassend, das endliche Ziel unserer Wanderung erreichen.


Textnachweis
Aus: Der Wiener Telegraph, III. Jg., Nr. 16, 5. Februar 1838, S. 66. (Die Orthografie wurde der neuen deutschen Rechtschreibung angepasst, die Interpunktion behutsam modernisiert. Offensichtliche Satz- und Druckfehler wurden stillschweigend ausgebessert.)

Titelbild
Detail aus: Amalia Lindegren, Augusta von Fersen, 1844

Ehret die Frauen!

von Charlotte Löw

Auf, meine teuren Schwestern! Heran zu mir, unter meiner Fahne sollt ihr euch versammeln! Mit starker und kräftiger Hand will ich sie schützend über eure Häupter schwingen. Einer zweiten Wlasta gleich, will ich euch mit scharfen Waffen versehen, mit Waffen, gegen die eine Toledo-Klinge stumpf wie ein Beil, gegen die ein echter Damaszener ein schwerfälliger Dreschflegel sein soll. Lasst uns kämpfen gegen das Los der Erniedrigung und Bedrückung; stolz wollen wir uns erheben, wie der königliche Aar, der, im blauen Äther kreisend, die Kraft seiner Schwingen wachsen fühlt, je mehr er sich der Himmelskönigin – der Sonne – nähert. Unsere Waffe sei: Vernunft; unser Feldgeschrei: Anerkennung; und die Schutzgöttin unseres Heeres: die Ausdauer. Sie, die weiblicher Abkunft ist, wird schützend und schirmend unserem Heere voranziehen; in ihrem Schutze werden wir all die Unbilden rächen, die uns seit so viel hundert Jahren von unseren Widersachern, dem Männergeschlechte, zugefügt wurden. Die beiden Reiche: Liebe und Treue sind unsere Verbündeten. Und so wollen wir es denn im offenen, redlichen Kampfe versuchen, wollen uns das durch die Kraft unsere Waffen erringen, was Vorurteil und alte Gewohnheit uns vorenthalten!

Sagt mir, ihr, die ihr euch die »Herren der Schöpfung« nennt, was euch berechtigt, unsere geistige Freiheit in Fesseln zu legen, uns gleich dem Prometheus am Felsen anzuschmieden, uns gleichsam nur als Mittel und euch als Zweck der Schöpfung zu betrachten? Etwa darum, weil die Fackel der Vernunft ebenso hell unserem Geiste strahlt als dem eurigen? Prometheus beging nicht für euch allen den Raub; nicht für die eine Hälfte der Menschheit stahl er das göttliche Feuer vom Himmel; nicht für die eine Hälfte litt er unsägliche Qualen. Den himmlischen Raub verteilte er brüderlich in gleiche Teile; und nur in eurer physischen Kraft, in dem, was der Erde angehört, steht ihr über uns: Geistig können wir uns immer mit euch messen. Sagt mir, ihr freien Herren der Schöpfung, ob ihr von euren Begierden und Leidenschaften nicht abhängiger seid als das in euren Augen so schwach dastehende weibliche Geschlecht! Wenn durch die leiseste Anregung von außen Zorn und Heftigkeit euer Gemüt ergreift, flüchtet sich das schwache Weib, schwach durch seine physische Schwäche, unter die Fittiche ihrer sie stets begleitenden Genien: Sanftmut und Geduld; und siehe da! der brüllende, zürnende Löwe wird zum ruhigen, freundlichen Schoßhündchen und lässt sich herab, Abbitte sogar da zu tun, wo vielleicht einmal das Recht auf seiner Seite war. Wie oft geschah es, ihr Herren der Schöpfung, dass unsere stille Klugheit da Triumphe feierte, wo ihr mit all euren rastlosen Anstrengungen nichts zuwege brachtet! Wie oft gelingt einem Blicke der Milde von uns, das zu bewerkstelligen, was euch durch hartnäckiges Drohen und durch das ewige Pochen auf euer Recht versagt wird! Ein sanftes Wort aus unserem Munde, ein freundlich bittender Blick aus unseren Augen: und in dem soeben schwer erbitterten Gemüte legen sich die Wogen der Aufregung; der Sturm, der soeben die mannhafte Brust durchtobte und zum Orkane heranzuschwellen drohte, hat dem lauen Westwinde Platz gemacht. Und all diese Wunder vollbrachte ein sanftes Wort, zu seiner Zeit gesprochen! Somit ist es von jeher nur den Frauen vorbehalten, die Tugenden Geduld und Sanftmut den rohen Ausbrüchen des Zornes und der Heftigkeit des männlichen Geschlechtes entgegenzuhalten.

Sagt mir, ihr, die ihr euch zu Richtern unserer Handlungen aufwerft, ob ihr die Tränen auch zählt, die, ungesehen von euch, so oft im Auge zerdrückt werden? Sagt, ob ihr die höhere Tugend, die nur in einer Frauenbrust ihre Wohnstätte aufschlägt, die Tugend der Ergebung und Selbstverleugnung, hegt, ob ihr sie nur zu würdigen versteht? Wieviel solche Dulderinnen traget ihr zu Grabe, deren Haupt im Leben wundgedrückt wurde von der Dornenkrone des stillen, verschwiegenen Leides! Als Immortellen schlingen wir um ihre kalten Schläfen den Siegeskranz, den wir erringen werden, den wir erringen müssen, wenn Ausdauer im Guten je den Sieg davontrug. Die Blumen: Sanftmut, Geduld, Ergebung und Selbstverleugnung wollen wir auf ihre Gräber pflanzen. Und wenn der Keim in Wurzeln schießt; wenn diese Gewinde gleich Schlingkraut Gedeihen finden und allmählich in die Höh’ sich ranken; dann mögen sie zu euren Ohren sprechen und euch mahnen an die, welche ihr im Leben verkanntet!

Alle diese Vorzüge, die ich hier aufzählte, müsset ihr uns zugestehen; doch sollten sich nicht auch unsere geistigen Vorzüge mit den euren messen können? Im Gebiete des wahrhaft Großen und Schönen werden gewiss glänzende Meteore am Himmel der Frauenwelt aus dem Weltbuche euch entgegenstrahlen. Oder brauche ich euch erst zu erzählen von Virginia und von der Mutter des Coriolan? Oder ist euch etwa jene Elisabeth unbekannt, unter der England sein goldenes Zeitalter sah? Mit welchen unabsehbaren Beschwerden, mit welchem Faktionsgeiste hatte sie zu kämpfen! Auf vulkanischem Boden, der von Revolution und Parteigängern untergraben war, wusste sie den Thron fest und ungehindert zu behaupten, mit starker und geübter Hand das Staatsruder zu leiten und – ihrer geistigen Überlegenheit sich bewusst – auch ihre Freiheit zu bewahren. Und ist ihr Geist etwa erloschen? Beherrscht nicht auch eben jetzt eine 18jährige Jungfrau das stolze Albion?

Wollen wir im Gebiete der Künste und Wissenschaften uns ergehen: Schulen und Kollegien sind uns verschlossen, das öffentliche Leben kennen wir nur wie aus Zaubermärchen und vom Hörensagen; denn ihr habt ja genugsam dafür gesorgt, dass unser Ruf, und mit ihm auch unser ganzes irdisches Glück, zugrunde geht, wenn wir dem öffentlichen Leben uns anschließen würden. Aber trotz diesem unübersteigbaren Wall von Hindernissen ist es doch schon vielen meiner Schwestern gelungen, einen Lorbeerkranz um ihren Namen zu flechten, obgleich ihre Richter – Männer waren.

Und doch gehören wir nicht vor euer Tribunal! Wir fühlen und denken anders als ihr, müssen daher auch anders handeln! Bei euch ist der Gedanke der Keim des Gefühles; bei uns ist das Gefühl der Keim des Gedankens. Mit jedem Pulsschlage umsegeln wir das Eiland eures Denkens; unser Gefühl ist ein Kompass, der nicht trügt. Mitten durch Klippen und Sandbänke zeigt er uns den gebahnten, fahrbaren Weg. Mit all eurem gepriesenen Denken könnt ihr oft Wogen und Brandungen nicht vermeiden, während wir, in unseren richtigen Takt eingehüllt, gefahrlos auf offenem Meere uns einschiffen können. Vor euer Tribunal gehören wir nicht; denn ihr richtet mit dem Verstande unser Tun und Handeln, und unser Lieben und Leben will nur mit dem Herzen gerichtet sein.

Darum, meine teuren Schwestern, wollen wir uns nicht länger mit schmeichlerischen Hoffnungen trügen! Wir haben zu lange auf ihre Anerkennung geharrt, um noch länger zu harren. Dieses Geschlecht nennt sich das »starke«, aber es ist nur stark in Schwachheiten, so wie es nur konsequent in Inkonsequenz ist. In der Liebe sind sie meist ohne Treue; in der Treue – oft ohne Liebe. Kopf und Herz leben stets in Zwiespalt; was das eine will, ist dem anderen ein Gräuel. Sie geben vor: unsere Liebe sei ihrem Herzen das Teuerste; und doch will ihr Geist sich über uns erheben! Sie prahlen: sie ständen von der Natur über uns gesetzt; und doch liegen sie oft als Sklaven zu unseren Füßen! Es ist ein Geschlecht voll Widerspruch! Es will über uns urteilen und begreift gar nicht uns, die wir stets ganz sind, bei denen Herz und Geist stets eins sind und eine Richtung haben. Nein, meine Freundinnen! Von diesem Männergeschlechte, so wie es jetzt ist, können wir keine Anerkennung erwarten. Wir müssen uns ein neues Geschlecht heraufbeschwören; Vergangenheit und Gegenwart müssen wir aufgeben, auf die Zukunft nur unser Augenmerk richten; – wir müssen uns erst Richter erziehen!

Unter uns gestanden, meine teuren Schwestern! An einem großen Teile der Ungerechtigkeiten, die uns von den Männern zugefügt wurden, sind wir selbst schuld. Warum haben sich die Frauen die Erziehung ihrer Söhne aus den Händen nehmen lassen? Die Erziehung ist weiblichen Geschlechtes und gehört der Mutter zu. Unser Geschlecht war aber schwach genug, sich dieses wichtigen Einflusses zu begeben. Kein Wunder, wenn die Vorurteile gegen uns sich vom Vater auf den Sohn verpflanzten! Im Mittelalter, wo der Knabe bis zum 15. Jahre unter der Obhut der Frauen stand und in der Minnesitte und zarter Tugend von ihnen unterrichtet wurde, da blühten auch Galanterie und Ritterlichkeit. Die Frauen wurden geehrt, ihre Tugenden anerkannt, in Wettgesängen und Wettkämpfen verherrlicht und ihre Gunst als das höchste Gut gepriesen. In unserem zivilisierten Jahrhunderte, wo die Knabenerziehung den Männern überlassen ist, werden dem Zöglinge bald alle jene Unarten gegen unser Geschlecht von seinem Lehrer eingeflößt, mit welchen dieser wieder von dem seinigen erzogen wurde. Und fürwahr! hätte der gute Schiller uns nicht vernünftigerweise besungen, ich glaube: es wäre kein Vers – als von lauter verrückten Liebhabern – auf uns gemacht worden. Und Schiller! – Man weiß, welchen Einfluss seine Mutter auf ihn hatte.

Darum, meine Schwestern, wollen wir von nun an ein so wichtiges Mittel, uns Achtung und Anerkennung zu verschaffen, nicht so leicht uns aus den Händen nehmen lassen; wir wollen die Erziehung unserer Söhne mit leiten! Was können die Männer dagegen einwenden? Mögen sie immerhin durch die Kraft der Verhältnisse imstande sein, den Geist eines Knaben heranzubilden: Herz und Gemüt erhält sein Gepräge am schönsten von der weichen Hand der Frauen. Darum wollen wir in die zarte Brust des Knaben jene lieblichen Keime legen, die unseres Geschlechtes Erbteil sind: Sanftmut, Zartsinn, Liebe und Treue! Wir wollen sie pflegen, dass sie feste Wurzel fassen! Und wenn dann der Knabe zum Manne wird, hinausgestoßen in den frostigen Winter des Lebens, dann werden die Blüten jener Keime ihn erquicken und vor Erstarrung schützen, und dankbar und huldigend wird er sich jenem Geschlechte nähern, dessen edle Eigenschaften er in sein Blut eingesogen hat. Er wird dessen Tugenden verehren; Rohheit und Unsitte werden verbannt sein; und ihre Verbannung ist der Triumph und die Emanzipation der Frauen. Darum auf, meine Schwestern! Rasch zur Tat, die Waffen zur Hand genommen, das Banner entfaltet! »Erziehung« ist das Losungswort!

Gegeben im Reiche unserer Verbündeten: Liebe und Treue.


Textnachweis
Aus: Der Telegraph, II. Jg., Nr. 151, 18. Dezember 1837, S. 621–622. (Die Orthografie wurde der neuen deutschen Rechtschreibung angepasst, die Interpunktion behutsam modernisiert. Offensichtliche Satz- und Druckfehler wurden stillschweigend ausgebessert.)

Titelbild
Detail aus: Amalia Lindegren, Augusta von Fersen, 1844

Nadelstiche

von Charlotte Löw

9. Oktober 1837

Man hat die Frauen oft mit Schmetterlingen verglichen; warum nicht mit Bienen? Wenn sie so an ihrem stillen, traulichen Nähtischchen mit ihrer Arbeit beschäftigt sitzen, wie sehr gleichen sie dann einer Biene! Nicht des Fleißes, auch nicht des Stachels wegen, den sie in Händen haben, sondern weil sie dann mit ihren Gedanken so gern in bunten Schwärmen ausfliegen und sich auf einen Gegenstand niederlassen, von dem sie erst nach vielem Schütteln und Rütteln wieder loszubringen sind. Wer ihr Wachs bei solcher Gelegenheit zu sammeln versteht, der kann ein Licht daraus bekommen, welches das Innere manches Herzens vor seinen Blicken erhellt. –

Man sagt, die Freude hat Flügel. Wohl muss sie welche haben; denn sie ist ein Engel, eine Bewohnerin des Himmels. Nur ungern senden die Götter diese strahlende Fee zur Erde nieder, noch weniger gern trennt sie selbst sich von ihrer lichten Heimat. Darum ist ihr Flug so langsam und träge, wenn sie sich einem Sterblichen nähern muss; darum ist er so blitzschnell und unaufhaltsam, wenn sie davonfliegt. Anders ist es mit dem Grame. Er ist ein Bewohner der Finsternis, ein greiser Sünder, dem die Verdammnis der Unterwelt zuteilwurde. Die Erde mit ihrem Lichte ist für ihn ein Paradies, und wenn die Dämonen ihn mit seiner Sendung zu den Menschen schicken, da kann er seine Krücke nicht hastig, nicht eilig genug in Bewegung setzen. Darum ist er weit schneller im Kommen als im Gehen; er hat alle seine Kräfte im Herbeieilen verschwendet und ist daher umso langsamer beim Fortschleichen.

11. Oktober 1837

Stille Trauungen gleichen hastigen Mahlzeiten – sie sättigen, aber sie nähren nicht; dass sie in ihren Folgen schädlich werden können, das ist eine Ursache, weshalb man dafür warnen muss. Und doch nimmt die Mode, Trauungen ohne Feierlichkeiten, Hochzeiten ohne Gepränge vor sich gehen zu lassen, immer mehr und mehr überhand! Man nennt das einen Fortschritt der Bildung, während es ein Rückschritt der Klugheit ist. Es gibt gewisse Abschnitte im Leben, wo Gepränge und Feierlichkeit nötig sind, damit sie die Grenze beleuchten, damit wir nicht vergessen, dass wir die Marken unseres bisherigen Vaterlandes überschritten haben und in einem andern uns befinden, wo andere Gesetze und andere Rechte herrschen. Bei dem Manne, der in den Ehestand tritt, ist dies noch nötiger als bei dem weiblichen Wesen. Das Mädchen tritt aus dem Vaterhause in jenes des Gatten ein. Diese Veränderung ihrer Lage und ihres Standpunktes ist markiert und wichtig genug für sie, als dass nicht ihre neuen Pflichten mit jener Veränderung umso lebendiger Eingang bei ihr fänden und die Grenze, die um sie gezogen wurde, ihr stets in Gedächtnis riefen. Bei einem Manne aber ist die Ehe gewöhnlich nur eine Vermehrung seines Hausstandes; seine äußeren Verhältnisse bleiben gewöhnlich dieselben, ohne Umstaltung und Veränderung. Der Mensch aber ist nun einmal ein sinnliches Wesen, und solange er jene Hülle nicht abgestreift hat, durch welche allein die Eindrücke Zugang zu seiner Seele finden, solange muss er auch an den Eingangspforten den gebührenden Zoll erlegen. Darum, soll des Mannes Seele ergriffen werden von der Heiligkeit und Bedeutung seines neuen Standes, so darf ihm dieser nicht kahl und matt entgegentreten! Man behauptet, der Ernst und die Unverbrüchlichkeit der Ehe sei in unserem Jahrhundert schwächer als vor alters. Sollte dieses nicht auch seinen Grund haben, weil der Hochzeitstag, von Schmuck und Glanz entledigt, nicht würdig genug entgegentritt?

23. Oktober 1837

Die Männer sind doch manchmal in der Tat recht possierlich mit ihren Ansichten und Zumutungen dem weiblichen Geschlechte gegenüber. In einer unlängst erschienenen Schrift will ein Hr. Werner den Frauen durchaus das Reiten streitig machen, weil es nach seinem Ausspruche der weiblichen Zartheit und überhaupt der weiblichen Bestimmung entgegen sei. Ob das Essen wohl dem weiblichen Geschlechte erlaubt sein dürfte, davon schreibt Herr Werner zwar nichts; aber sollte nicht das Kauen unserer Zartheit entgegen sein? Und ist nicht die Bestimmung des Weibes zu dulden, und wäre es daher nicht ganz gerecht, dass wir auch den Hunger dulden sollten? – Das Reiten kommt uns Frauen nicht zu! – Wie, wenn wir nun den Satz umdrehen und behaupten wollten, den Männern sei das Fahren unzukömmlich, weil es der männlichen Kraft nicht zukommt, sich schleppen zu lassen, und weil es überhaupt seiner Bestimmung entgegen sei, so weichlich zu sein? Oder ist das Reiten auf einem lebendigen Rosse für eine Dame unanständiger als das Reiten auf einem Steckenpferde für einen Mann? Lasset uns immerhin dies kleine Vergnügen, ihr Herren der Schöpfung! Wir überlassen euch dafür jene edle Reiterei, wobei das Pferd den Herrn tyrannisiert; wir überlassen euch die – Steckenpferde. Seid doch gerecht und prüfet genau, wie selten diese Art Reitkunst bei den Frauen ist. Mann und Kind und Haushaltung, das sind die einzigen Steckenpferde des edlen Weibes (bei dem schwächeren kommt höchstens noch der Spiegel als das vierte im Bunde); der edelste Mann aber hat, neben Weib und Kind und Berufsgeschäft, noch eine ganze Stallung von Steckenpferden. Von dem minder edlen will ich gar nicht sprechen. Darum, meine Herren, drücket immer ein Auge zu und lasset uns reiten! Wir wollen zum Danke dafür beide Augen zudrücken.

Wie viel wird bei der weiblichen Erziehung vernachlässigt; selbst bei dem Unterrichte ist der Knabe vom Geschick schon begünstigt; wie sucht man nicht durch große Vorbilder seinen Geist, seine Phantasie zu entflammen! »Cornelius Nepos«, »Plutarch«, das sind die Bücher, welche man ihm in die Hände gibt; man führt ihn auf die Höhen und zeigt ihm glänzende Sternbilder und Namen, vor welchen die Erde sich bückt. Und dem Mädchen? »Marianne Strüf«. Ist das hinreichend, den Nepos zu ersetzen, hat das Weib keine höhere Bestimmung, als Teig zu kneten und schmutzige Wäsche aufzuschreiben? – Oder ist etwa unser Geschlecht so arm an großen Vorbildern? O, ich könnte euren vielgerühmten Helden und Weisen Weiber entgegenstellen, mit glänzenden Kronen auf dem Haupte und krönendem Glanze im Haupte, wüsste ich nicht, dass ihr sie wohl kennt! Aber, was sollen uns die Beispiele großer Regentinnen? Denket ihr, das Weib soll gehorchen und nicht herrschen, solche Beispiele könnten uns verderben? Aber wir haben ja auch Heldinnen, glänzendere und größere, als euer Plutarch sie aufzuweisen hat.

27. November 1837

Fast jede Frau betrachtet eine neue Männerbekanntschaft mit den Beziehungen der Liebe. Der Mann mag noch so reizlos und uninteressant sein, die Frau forscht überall an ihm. Ob nichts Liebenswürdiges an ihm aufzufinden sei, – und solange sie nicht vom Gegenteil überzeugt ist, wird ihr der Mann nicht völlig gleichgültig. Das Lieben und Geliebtwerden ist nun einmal unser Beruf! Natürlich ist es dabei nicht immer auf jene Liebesverhältnisse, oder was man im gemeinen Leben so zu nennen beliebt, abgesehen, sondern nur auf die Frage des Interesses oder der Gleichgültigkeit.

Die gewaltigsten Herrscher unseres Lebens sind unsere Gedanken; selbst im Schlafe sind wir ihnen dienstbar, selbst unsere Träume unterliegen ihrem Zepter. Dünkt es uns doch bisweilen, als streckten in die Träume sogar ganz fremde Mächte gebieterisch ihre Hände! Im Schlafe sehen wir Gedanken und Bilder ausgewachsen vor uns stehen, deren Anfänge wir kaum in unserem Herzen geahnt haben. Unsere Bildung wird nicht selten sogar in den Träumen verarbeitet, neu gerichtet und gewendet; unsere Selbstständigkeit ist zu Ende, aber unsere Kräfte sind gewachsen: Wir empfinden uns freudig oder schmerzlich als die unmittelbaren Werkzeuge höherer Gewalten. Vielleicht ließen die älteren Völker darum ihre Götter im Traume kommen und mit den Menschen reden! Vielleicht nennt man darum die begabtesten Menschen – die Poeten – Träumer, weil wir sie erfüllt sehen von göttlichen Worten und Gedanken, die ihnen nur direkt von der Gottheit gekommen sein können, im Schlafe und Traume! Wenn es ein Mittel gibt, die Zukunft zu erraten, so liegt es gewiss in den Träumen. Diese Kenntnis der Zukunft wäre aber gleich jener Frucht vom Baume der Erkenntnis, welche die neugierige Eva naschte und die ihr den Tod bereitete. Die Erfüllung ist der Tod des Wunsches, und wer nichts mehr wünschen und hoffen kann, der ist des Todes.

10. Januar 1838

Das Verhältnis des männlichen und weiblichen Geschlechtes gleicht dem Verhältnisse der rechten und linken Hand. Beide sind Zweige eines Baumes, beide sind an Gestalt gleich; aber das Vorurteil hat sie zu ganz verschiedenen Geschöpfen gemacht. Das Weib, und die Linke, werden von Jugend auf daran gewöhnt, ihrem Zwillingsbruder den höheren Rang einzuräumen. Der Mann, und die rechte Hand, beide lernen das Schwert führen, Gesetze schreieben und den Hammer schwingen; das Weib, und die Linke, werden nur zu den untergeordneten Beschäftigungen zugelassen. Man sagt: beide seien schwach; aber es ist nicht wahr! Durch die Schuld der Erziehung, durch den Mangel an Übung, durch das Entziehen jeder kräftigen Entwickelung sind sie geschwächt worden. Verbannt euer Vorurteil, und ihr sollt unsere Kraft anstaunen! Seht nur zu, wenn durch ein Unglück der rechte Arm abgehauen wird; seht nur zu, wie durch Gewohnheit und Übung die Linke ihn ersetzen macht! – Und gibt es nicht viele Menschen, welche die Herrschaft der linken Hand und das Hausrecht der Frau überlassen haben? Merkt ihr etwa einen Unterschied? – O, nur an eurer Erziehung liegt die ganze Schuld! Würdet ihr von Jugend auf den beiden Händen gleiche Beschäftigung einräumen, so würde auch die Kraft eine gleich starke. Aber ihr fürchtet, wenn ihr die Linke emanzipiert, eure Rechte darunter leiden zu sehen. Ihr wollt die Rechte als Oberhand behalten und drückt lieber ein Auge zu, wenn die linke Hand schwach ist und einen Missgriff sich zuschulden kommen lässt. – »Was die Linke tut, soll die Rechte nicht wissen!«, sagt ihr dann mit nachsichtigem Lächeln. – Verdorbenes Geschlecht! Glaubt ihr, die Götter nennen euch die Rechten? Euch, denen das Recht ganz fremd ist?

5. März 1838

Glückliches Männergeschlecht, dessen Herz noch ein anderer Beruf füllt als – die Liebe; unglückliche Frauen, deren Ein und Alles sie ist! Von der Wiege bis zum Grabe ist sie der Mond, der ihren Weg beleuchtet; und wie der Nachtwandler folgen wir den Strahlen dieses Mondes unbewusst und träumend bis zu den höchsten Zinnen des Lebens, bis zu den jähesten Abgründen des Unglückes. Wehe uns, wenn der Mond erlischt, wenn wir plötzlich aus unserm Traume geweckt werden! Wir sind unrettbar dann verloren; zerschmettert sinken wir zu Boden. Dem Manne aber ist die Liebe nur ein Stern; so lange er scheint, ergötzt er sein Auge an seinem Glanze; und wenn er untergeht, so blinken tausend andere ihm entgegen: Ehre, Ruhm, Humanität, Wissen und Tatenlust.

Warum gebärt in der Brust des Weibes die höchste Liebe oft den höchsten Hass? – Eben, dass die Extreme sich so berühren, ist ein Beweis, dass das Gefühl der Frauen zu einer weit höheren Spitze emporschwillt als das Gefühl des Mannes. Der Blitz wirft seinen verheerenden Strahl meist in die höchst gelegenen Türme und in die Wipfel tausendjähriger Rieseneichen, während die niedrig gelegene Bauernhütte und Blumenstaude davon verschont bleiben. Der Hass eines Weibes gleicht dem leuchtenden, schnell tötenden Blitze, weil seine Liebe eine Eiche ist; die Liebe des Mannes ist ein Krüppelholz; darum gleicht sein Hass dem langsam verzehrenden Kohlenfeuer, dessen Dasein sich unter der Asche tückisch verbirgt.

19. März 1838

Zu den Erbfeinden des weiblichen Geschlechts gehört – die Tinte. Die meisten Frauen wissen, welche Gefahr es ist, wenn ein Tintenfleck in das Weißzeug sich eingefressen hat. Man hat so viele Mittel vorgeschlagen, die Tintenflecke zu vertreiben: Zitronensaft und Kleesalz; aber erfahrene Hausfrauen wissen, dass diese Mittel über Kurz oder Lang die schlimmsten Spuren, nämlich: Löcher, zurücklassen. Aber noch eine andere Art von Tintenflecken gibt es, die den Frauen weit weniger bekannt sind, obgleich sie weit schädlicher und zerstörender sind als die gewöhnlichen. Ich meine jene Tintenflecke, die in das weiße und reine Gewebe der weiblichen Phantasie sich eingefressen haben; jene schwarzen Tintenflecke, die aus Romanen und ähnlichen Schriften in das leicht erregte Herz eines jungen Mädchens getropft werde. Hier hilft alles Reiben nichts; der Zitronensaft trauriger Verhältnisse, das Bittersalz des Zwanges verschlimmern das Übel und fressen Löcher in ein Herz, dessen Fäden allzu fein sind, um diesem Konflikte zu widerstehen. Solche Tintenflecke haben manches Gemüt zerrissen, wenn törichte Eltern mit Lauge, Seife und Bürste es zu reinigen versuchten. Nur Zeit und freie Luft können diese Flecke bleichen; nicht der Gewalt, der Sorgfalt nur werden sie weichen. Eltern und Gatten sollten dies bedenken und darnach sich richten.

»Bettinas Briefe an Goethe« mögen bei Männern Wohlgefallen, Bewunderung, Enthusiasmus erregen; das Gemüt der Frauen fühlt sich bei dieser Lektüre verletzt. Der Mann, sei es nun, dass er sie für eine poetische Fiktion oder als eine durchlebte Wirklichkeit betrachtet, genießt sie, wie man ein Kunstwerk genießt, ruhig und unbefangen. Der weibliche Sinn aber ist befangen und verwundet, wenn er sieht, wie unverhohlen Bettina ihre Glut gegen einen Mann ausspricht, der sie durch die abgemessene Kälte seiner Briefe gar nicht dazu auffordert. Geist und Gemüt sind zwei Engelsschwingen, die das Weib über die niedrigen Schranken der Verhältnisse erheben können; Frauenwürde und edle Weiblichkeit müssen jedoch dem Mittelpunkte eine Schwerkraft verleihen, sonst verwandeln sich die Engelsschwingen in Schwalbenflügel, deren Flug mehr der Erde als dem Himmel sich nähert. Darum haben in England, wo die Charaktere ausgeprägter und fester geschieden sind als bei uns und der britische Stolz den weiblichen noch erhöht, »Bettinas Briefe« eine so harte Verurteilung gefunden.

23. März 1838

Es gibt Männer, welche die Schmeichelei als eine Zauberrute betrachten, bei deren Berührung jedes weibliche Herz sogleich sich öffnen muss. Wohl sind die Frauen nicht von Eitelkeit ganz frei; aber eben diese Eitelkeit macht nicht selten ihre Brust gegen das Eindringen der Schmeichelei verschlossen. Frauen von Geist durchschauen die Absicht der schmeichelnden Männer und finden sich verletzt durch die Leichtgläubigkeit, die man ihnen zutraut.

Die Geschichte nennt die Namen so vieler Helden und nur so weniger Heldinnen; und dennoch übersteigt die Zahl dieser bei weitem die Anzahl jener. Die Welt hat nur den rechten Standpunkt der Beurteilung noch nicht gefunden. Man verbindet gewöhnlich mit dem Worte »Held« die Idee eines Menschen, der den Tod nicht fürchtet und der für die Sache, die seine Brust erfüllt, zu sterben bereit ist. Aber es ist viel leichter, für eine Sache zu sterben, als für sie zu leben. Tausende von Menschen würden für ihre Religion freudig in den Tod gehen; aber nach ihren Vorschriften zu leben, vermögen nur wenige über sich. Der eigentliche Held bewährt sich nicht darin, dass er den Tod, sondern dass er das Leben nicht scheut. Darin sind die Frauen groß und unübertroffen. Das stille, unbemerkte Leben mancher Frau ist eine Kette glänzender Heldentaten, und mancher Leidenstag ist das Siegesdenkmal einer Schlacht, in der so viele ruhmgekrönte männliche Helden unterlegen wären. Die Zahl männlicher Märtyrer kann die Geschichte aufzählen; für die Zahl der weiblichen sind ihre Blätter zu eng.

Ein Triumph, den unser Geschlecht sich in diesem an Aufklärung so reichen Jahrhunderte selbst bereitet hat, besteht darin, dass das Schminken in den höheren Kreisen der weiblichen Welt außer Mode gekommen ist. Die Schminke ist eine Erfindung, bei deren Gebrauch eine Frau nicht durch Kunst erröten soll, sondern aus Natur; während die Schminke die eine Wange bedeckt, sollte Schamröte die andere färben. Kaum sollte man es glauben, dass eine edle Frau ihre Würde so weit vergessen kann, zu solchen Täuschungen ihre Zuflucht zu nehmen um zu gefallen. Ein weibliches Wesen, welches sogar ihre Außenseite mit lügnerischem Firnisse zu bedecken nicht verschmäht, kann unmöglich eine günstige Meinung über ihr inneres Wesen erwecken; und in der Tat, alle die vorurteilsvollen Bemerkungen über die Falschheit des weiblichen Herzens, die wir in so vielen Büchern und von so vielen Männern aufgetischt bekommen, sind leicht zu verzeihen, wenn man eine geschminkte Frau zu Gesichte bekommt. – Warum sind die Männer zu stolz, durch solche Mittel unser Wohlgefallen erwerben zu wollen? Ist der Stolz des Weibes minder edler Art als der des Mannes? Zeigen und erklären wir uns nicht selbst als untergeordnete Geschöpfe, indem wir zu Mitteln greifen, die die Männer verachten? – Man sollte doch einmal in einer Gesellschaft geschminkter Damen Schillers »Würde der Frauen« lesen! Ich glaube, trotz aller Schminke würden die Gesichter in verschiedenen Farben spielen! – Schätzen wir uns glücklich, dass diese entartete Mode den Sonnenblicken unserer modernen Zeit weichen muss, und dass sowohl in Paris als in verschiedenen deutschen Städten die Sitte bereits begründet ist, dass jede Dame von Stand und gutem Tone es unter ihrer Würde hält, sich der Schminke zu bedienen! – Das ist ein großer Schritt zur wahren Emanzipation: zur Emanzipation unser selbst!


Textnachweis
Aus: Der (Wiener) Telegraph
II. Jg., Nr. 121, 9. Oktober 1837, S. 500.
II. Jg., Nr. 122, 11.Oktober 1837, S. 504.
II. Jg., Nr. 127, 23. Oktober 1837, S. 524.
II. Jg., Nr. 142, 27. November 1837, S. 586.
II. Jg., Nr. 5, 10. Januar 1838, S. 20–21.
II. Jg., Nr. 28, 5. März 1838, S. 116.
II. Jg., Nr. 34, 19. März 1838, S. 140.
II. Jg., Nr. 36, 23. März 1838, S. 148.
(Die Orthografie wurde der neuen deutschen Rechtschreibung angepasst, die Interpunktion behutsam modernisiert. Offensichtliche Satz- und Druckfehler wurden stillschweigend ausgebessert.)

Titelbild
Detail aus: Amalia Lindegren, Augusta von Fersen, 1844

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