Sommer

von Anna Croissant-Rust (1860–1943)

Ohne Baum, ohne Strauch, nackt kriecht die gelbweiße Straße zwischen den Wiesen hin. Mit einem tiefen Seufzer haucht sie all die Hitze des Tages aus. Gebückt, nieder schleicht sie zwischen den Grasböschungen in die Berge. Kein Wind, keine Wolke, die Sonne im Sinken. Ein Gehöfte liegt tot in den Obstbäumen.

Ein Karren, mit Leinwand überspannt, hält vor dem Hause.

Kein Ton, keine Antwort, niemand, der öffnet.

Und der magere Klepper schleppt seine Last wieder weiter.

Langsam, müde, die staubige Straße entlang.

Drinnen im Wagen liegt ein krankes Weib. Die Haare hängen ihr wirr und schmutzig zu beiden Seiten des Gesichtes herab.

Sie glüht, fiebert, redet irre. Tappt mit zitternden Händen nach dem kleinen Kinde, fährt auf, lallt.

Das Kind spielt und lacht, versucht der Mutter das Brusttuch herunterzuzerren und ruft ihren Namen. Wenn der Wagen stößt, fällt die Kleine auf die Seite ins Stroh, auf den Leib der Mutter, auf ihre Füße. Dann jauchzt sie laut auf, zieht an den schwarzen Haaren der Kranken und reißt ihr mit dünnen, spitzen Fingerchen an den Augendeckeln, damit sie nicht immer schlafe.

Neben dem Karren trottet der Mann, bestaubt, mager, den Kopf gesenkt. Er und der Klepper, sie werden immer langsamer, immer müder, der Wagen scheint fast still zu stehen, kaum dass er Staub aufwirbelt.

Weit drüben auf der Wiese wenden Männer und Weiber Heu. Ein schwacher bittersüßer Geruch stiehlt sich bis zur Straße her.

Der Mann sieht auf, murmelt einen Fluch zwischen den Zähnen und schlägt auf den Klepper ein, dass er erschreckt dem Karren einen Ruck gibt.

Wie das Kind schreit vor Vergnügen! Auf Händen und Füßen kriecht es nach vorne und schaut mit lachenden schwarzen Augen nach dem Vater.

Die Mäher drüben stützen sich auf ihre Rechen. Mit aufgestemmtem Arme sehen die Weiber dem Gefährt nach, ihre weiß und roten Kopftücher leuchten über die grüne Wiese. Dann reichen sie sich den Krug und trinken. Gesundheit und Frische liegt in ihren Gesichtern, ihren Bewegungen, Behagen klingt aus ihrem Lachen.

»Packelwar’!«

Die humpeln weiter auf der weißen, öden, einsamen Straße, in den Abend, in die Berge hinein.


Textnachweis
Aus: Anna Croissant-Rust, Gedichte in Prosa, Berlin 1896, S. 73–74. (Die Orthografie wurde der neuen deutschen Rechtschreibung angepasst, die Interpunktion behutsam modernisiert. Offensichtliche Satz- und Druckfehler wurden stillschweigend ausgebessert.)

Titelbild
Detail aus: Olga Wisinger-Florian, Heuwagen

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