Zwei Gedichte

von Irma Erben-Sedlaczek (1879–?)

Leises Glück

Das waren Tage leisen Zaubers voll –
Die Worte tanzten, sonnenstäubchenzart,
Im goldnen Flimmerstreif von dir zu mir
Und blieben zitternd hängen in der Luft,
Aus Furcht, am eignen, lauten Klang zu sterben,
So fremd, so märchenfremd war ihr Art –
– – – –
Und unsre Seelen gingen Hand in Hand
Durch Gärten, die in weißen Träumen blühten, –
Und still in all dem Duft und Schimmer stand
Ein Engel Gottes, unsern Traum zu hüten.

Spätherbst

In heißem Prangen standen alle Gärten,
als unser Lieben zueinander fand.
Und heut, da wir zur Stätte wiederkehrten,
liegt tot und fahl und lichtberaubt das Land.

Es ist ja nicht, dass wir der Lieb vergaßen,
die über uns einst wie ein Wunder kam.
Es ist: dass alles, was wir je besaßen,
von unsrem Glück, dem selig unbeschwerten,
der Herbststurm fegte von des Lebens Straßen
und unsrer Herzen Blüte mit sich nahm.


Textnachweis
Leises Glück, aus: Allgemeiner Tiroler Anzeiger, 11. November 1911, S. 2.
Spätherbst, aus: Die Muskete, XXI. Jg. 1926, Nummer 23, S.536.
(Die Orthografie wurde der neuen deutschen Rechtschreibung angepasst, die Interpunktion behutsam modernisiert. Offensichtliche Satz- und Druckfehler wurden stillschweigend ausgebessert.)

Titelbild
Detail aus: Olga Boznańska, Blick aus dem Fenster, 1900

Frühe Gedichte

von Hilda Bergmann (1878–1947)

Die Windmühle

Sie ragt vom Hügel dunkel in die Bläue
Und lässt die schweren Flügel langsam kreisen.
Ihr Freund, der Wind, umfächelt sie aufs neue,
Summt ihr ins Ohr die oft gehörten Weisen.

Die Lieder kennt sie längst. Und kennt auch ihn …
Bei seinem Singen ist sie grau geworden.
Wie oft sah sie ihn treulos weiterziehn
Und wiederstürmen dann aus fernem Norden.

Sie fühlte manchmal bange Sehnsuchtsqual,
Wenn regungslos sie in die Weite blickte –
Und dann Erfüllungsschmerzen, wenn brutal
Er seine Schauer ihr zum Gruße schickte.

Jetzt eben kehrt er wieder. Doch ihr Herz
Ist abgestumpft und wunschlos. Sonder Klagen,
Doch flügelmüde starrt sie himmelwärts,
Er hat nichts mehr – gar nichts mehr zu sagen …

Der flammende Abend

Stehen oft auf goldnem Grunde
Blasse Heiligenfiguren,
Sichtbar tragend ihre Wunde
Und das Zeichen der Torturen,
Starren Blicks, in starren Falten
Die Gewänder, – die Gesichter
Der verneinenden Gestalten
Ohne Leben – ohne Lichter – –

Heute haben Ströme Goldes
Schwer den Himmel übergossen
Und der Abend hat ein holdes
Farbenzauberspiel erschlossen:
Maiengrüner Blätter Schwanken
Auf dem Goldgrund. Und das Leben
Selber scheint dem Frohgedanken
Der Bejahung recht zu geben.

Die junge Nonne

Weiße Flügel über schwarzem Kleid, –
aber keine, die ins Leben tragen.
Ihre stumme Sprache heißt Entsagen,
alles Irdische heißt Eitelkeit.

Augen, deren Blick zu Boden geht,
Lippen, welche betend sich bewegen,
denn – die Welt ist böse und es steht
die Versuchung lockend an den Wegen.

Und sie sieht nicht, dass die Sonne scheint,
Sündenfurcht hält ihren Sinn umnachtet.
Ob der Gott, dem sie zu dienen meint,
dieses Leben als gelebt betrachtet?

Weiße Flügel über schwarzem Kleid, –
sie beschatten kinderweiche Züge.
Ob nicht einst aus Irrtum und aus Lüge
diese Seele um Erlösung schreit?

Und es will Abend werden

Ein Tag: er ahnt es kaum, dass er der letzte
von allen schönen ist. – Doch scheint es nicht,
als blaut’ sein Himmel blauer und als netzte
ihm eine Tränenspur das Angesicht?
Liegt nicht die Sonne wärmer auf den Hängen
und zärtlicher als jemals hingebannt –
und zieht nicht mit den Abendglockenklängen
schwermütig Abschiednehmen durch das Land?

Und eine Stunde, die von allem leuchtet,
was nur die Welt an Schönheit geben kann:
Warum hat sich das Auge dir gefeuchtet,
was für ein leiser Schauer weht dich an?
Ist es der letzte Becher, den das Leben
rosenumwunden deinen Lippen neigt,
um dann den dunkeln Schleier wegzuheben,
der vor der Zukunft liegt und sie verschweigt?


Textnachweis
Die Windmühle, aus: Die Muskete, 20. Februar 1908, S. 165.
Der flammende Abend, aus: Neues Frauenleben, XXIII. Jg., Juli 1911, Nummer 7, S. 194.
Die junge Nonne; Und es will Abend werden, aus: Neues Frauenleben, XVI. Jg., Juli 1914, Nummer 7, S. 220–221.
(Die Orthografie wurde der neuen deutschen Rechtschreibung angepasst, die Interpunktion behutsam modernisiert. Offensichtliche Satz- und Druckfehler wurden stillschweigend ausgebessert.)

Titelbild
Detail aus: Tina Blau Dordrecht

Herbstgedichte

von Hilda Bergmann (1878–1947)

Herbst

Gehst du wieder, Fackeln in den Händen,
Hängen zu, die du mit Feuer färbst,
sanfter dann zu blumigen Geländen,
Farbigkeit noch einmal zu verschwenden,
ehe deine Sonnentage enden,
bunter Herbst?

Ach, schon raubt der Frost von deinem Feste,
was der Wind des Nordens übrig ließ:
Blätter taumeln trunken vom Geäste
und bedecken welke Rasenreste
wie ein goldnes Vlies.

Bald, – und auch die hundertjähr’gen Linden
geben ihren Schmuck den Stürmen preis.
Und die Teiche, offen allen Winden,
fühlen ihren Augenstern erblinden
jäh im Eis.

Das gelbe Blatt

Auf glatter Fläche schwimmt ein gelbes Blatt,
wer weiß, aus welcher Ferne hergeweht.
Des Windes leichte Hand hat es gesät
in einen Teich unweit der großen Stadt.
Es schwebt wie eine Blütenflocke, die
ihr leuchtend Gold dem Wassergrün vermählt:
ein Stückchen Leben, licht und glanzbeseelt
auf einem Grunde von Melancholie.

Sanfter Herbst

Ein sanfter Herbst geht seinem Ende zu
Die Bäume, schon im Purpur der Vergängnis,
schwer von der Früchte reifender Bedrängnis,
ermüdeten und sehnen sich nach Ruh’.

Vom Pflug zerrissen liegt das Land im Hauch
des blauen Tags. Es strömt aus jeder Rille
Geruch von Erde. O geliebte, stille,
verträumte Zeit! Was macht es, wenn dann auch

der Winter kommen muss nach dem Gebot,
dem das Geschaffne hörig ist und pflichtig?
In dieser Stunde ist nur eines wichtig:
das Leben lieben treu bis in den Tod.

November

Nun gießt das Jahr aus dem geneigten Kruge
die letzten Tropfen glänzend-bunten Scheins.
Gerötet sind die Ranken wilden Weins.
Wildgänse schreien im Vorüberfluge.

Geerntet ist, was Feld und Wiese boten,
geborgen alles ackerauf- und ab.
Dort drüben auf dem Erntefeld der Toten
entbrennen Kerzen über jedem Grab.

Auf jedem Hügel weiße Chrysanthemen.
Es ist, als wollte deren mildes Licht
wie Freundeshand dich bei den Händen nehmen,
dich trösten wie ein Freundesangesicht.

Es ist, als raunt’ es in den Friedhofseschen:
»Bald kommt ihr nach, ihr Wandrer in der Zeit.
Lasst nur die Leuchte Liebe nicht erlöschen
und seid gesammelt, still und schnittbereit.«

Raureif

Raureif hat heut’ den Garten eingehegt
und sein Gezweig in Hauch und Flor gefangen.
Jedweder braune Strauch am Wege trägt
Kristallgeschmeide und Korallenspangen.

In feinstem Zug dem Leben nachgespürt
bildet der Frost als Künstler die Gedanken:
Nie hat ein Goldschmied feiner ziseliert
solch Gitterwerk von Blatt und Silberranken.

Nie hat ein Dichter freier überspannt
die Welt mit einem Wundernetz von Blüten.
Heut’ morgen ist der Park ein Märchenland
und in Legenden eingewirkt und Mythen.

Er strahlt in seiner ungewohnten Haft,
hoch in der Luft krächzt missvergnügt ein Rabe.
Ich aber seh’ vor solcher Meisterschaft,
wieviel, wieviel ich noch zu lernen habe …


Textnachweis
Herbst, aus: Hilda Bergmann, Zünd Lichter an. Gedichte, Wien 1936, S. 22.
Das gelbe Blatt, aus: Am häuslichen Herd. Schweizerische illustrierte Monatsschrift, 50. Jg. (1946–1947), 5. H., S. 93.
Sanfter Herbst, aus: Am häuslichen Herd. Schweizerische illustrierte Monatsschrift, 46. Jg. (1942–1943), 2. H., S. 38.
November, aus: Am häuslichen Herd. Schweizerische illustrierte Monatsschrift, 46. Jg. (1942–1943), 3. H., S. 65.
Raureif, aus: Jugend, Jg. 1925, Heft Nr. 49, S. 1174.
(Die Orthografie wurde der neuen deutschen Rechtschreibung angepasst, die Interpunktion behutsam modernisiert. Offensichtliche Satz- und Druckfehler wurden stillschweigend ausgebessert.)

Titelbild
Detail aus: Olga Wisinger-Florian, Friedhof in der Dämmerung

Schönbrunn (Drei Gedichte)

von Hilda Bergmann (1878–1947)

Schönbrunn

In diesem Garten schlummert noch Alt-Wien.
Wie einstens steigt das Wasser der Fontänen
Und perlt nieder zu den blassen Schwänen,
Die ihre träumerischen Kreise ziehn.

Und hüllt den moosbewachsenen Delfin,
An dem verwitterte Najaden lehnen
In einen Schleier wie von tausend Tränen,
Die langsam in die grüne Tiefe ziehn.

Wird plötzlich nicht der tiefe Schlummer enden?
Ist hinter den verschnittnen Taxuswänden
Nicht junges Volk zum Schäferspiel versteckt?

Die kleinen Amoretten stehn und lauschen – –
Doch nur des Springquells monotones Rauschen
Erfüllt den Park. Alt-Wien bleibt unerweckt.

Nymphe in Schönbrunn

Als wären sie aus Stein, die grünen Mauern,
so stehn sie hart ins blasse Blau gebannt:
vom Sonnengold umfasst und hell gerändert,
seit Urgroßvätertagen unverändert
und alle zu dem gelben Schloss gewandt,

das weltverloren, mit geschloss’nen Lidern
inmitten all des grellen Lichtes steht,
ein alter Träumer, dem das Spiel des Lebens
umsonst den Fuß umschmeichelt, dem vergebens
ein fremd Jahrhundert um die Stirne weht.

Und mit ihm träumt der ganze weite Garten.
Nur eine Nymphe beugt sich vor und späht,
das Auge von der Marmorhand beschattet,
und wartet Tag um Tage unermattet,
ob nicht die alte Zeit  vorübergeht.

Herbst in Schönbrunn

Verschwenderische Tage und Gebärden,
Wenn alle Sträucher Gold und Purpur tragen
Und wenn die alten Bäume Fackeln werden,
Aus denen lichterloh die Flammen schlagen.
Den Park erfüllt ein Leuchten, Glühen, Prangen,
Ein Farbenrausch durchzittert die Alleen,
Und leisen Fußes kommt der Herbst gegangen,
Im Blätterrieseln, um sein Werk zu sehen.

Er rührt mit leichtem Finger die Platanen,
Damit ihr gelber Regen niederflute,
Er nimmt den Ulmen ihre bunten Fahnen
Und winkt, dass sich der wilde Wein verblute;
Und in die Brunnen, über die Amphoren
Verstreut er händevoll die vielen losen
Braungoldnen Blätter und bekränzt die Horen
Und Grazien damit, anstatt mit Rosen.

Dann spinnt er blaue Schleier um die Gänge,
Die vielverschlungen ineinandertauchen,
Lässt der Fontänen heitere Gesänge
Mit einem Mal verstummen und verhauchen,
Spielt mit der Trauerweide langen Haaren
Und mit der Birken flimmernden Gewändern.
Und in den Lüften ziehn die Wanderscharen
Der wilden Vögel nach den Sonnenländern.


Textnachweis
Schönbrunn, aus: Neues Frauenleben, XXIV. Jg, Heft 10, Oktober 1912, S. 279.
Nymphe in Schönbrunn, aus: Moderne Welt, Jg. 1924, Heft Nr. 24, S. 7.
Herbst in Schönbrunn, aus: Jugend, Jg. 1923, Heft Nr. 21, S. 618.
(Die Orthografie wurde der neuen deutschen Rechtschreibung angepasst, die Interpunktion behutsam modernisiert. Offensichtliche Satz- und Druckfehler wurden stillschweigend ausgebessert.)

Titelbild
Detail aus: Josephine Siccard-Redl, Schönbrunn

Zwei Sonette

von Kazimiera Zawistowska (1870–1902)

Ich liebe dich

Ich liebe dich, weil du mir wiedergibst die schönen
Lenztage meiner Jugend – jene goldnen Stunden.
Dein Schatten folgt mir immerfort – mir treu verbunden,
Und meine Seele ruft nach ihm mit bangem Sehnen.

Dass deine Arme mich nur eng und fest umschließen –
Verhüll die Augen mir, will nicht die Zukunft sehen,
Vergessen will ich alles, was mir je geschehen
Und selig liebe Zärtlichkeiten nur genießen.

Es ist heut kalt und dunkel … Gib mir deine Augen!
Sie sollen tiefer Träume Gärten mir erhellen,
Drin süße Klänge sind und Gold und Purpurwellen

Und – farbenreich umstrahlt – ein froher Hochzeitsreigen.
Es ist heut kalt und dunkel … Über mir entsteigen
Der bösen Ahnung Träume … Gib mir deine Augen! …

Gib deine Träume mir …

Gib deine Träume mir, die für mich glühten –
Dass ich erblick in ihrem Spiegelbilde
Die eigne Seele mein so still und milde,
Gleichwie des Silberreifes zarte Blüten.

Führ wieder mich in die kristallnen Weiten,
Dass dort, erweckt von deinen lieben Händen,
Sich all die zarten Töne wieder fänden –
Zu jenem Liede, das uns starb vor Zeiten …

Du wirst mich wieder so wie einstens sehen:
Und meiner Seele tote Perlen leben
Dann auf und werden leuchtend neu erstehen.

Die schönste Weile will ich deinem Leben
Dann geben – um ins Dunkel fortzugehen,
Dass wir uns niemals … niemals wiedersehen.


Übersetzung
Aus dem Polnischen von Lorenz Scherlag

Textnachweis
Ich liebe dich, aus: Czernowitzer Tagblatt, 30. Mai 1909, S. 17.
Gib deine Träume mir …, aus: Czernowitzer Tagblatt, 16. April 1911, S.15.
(Die Orthografie wurde der neuen deutschen Rechtschreibung angepasst, die Interpunktion behutsam modernisiert. Offensichtliche Satz- und Druckfehler wurden stillschweigend ausgebessert.)

Titelbild
Detail aus: Olga Wisinger-Florian, In Gedanken

Ein Augenblick

von Maryla Wolska (1873–1930)

Ein Duften rings … Es schweigt der Grillen Chor,
          Es welkt das Heu.
Und linde Winde quellen frisch hervor
          Und strömen herbei.

Ein stiller Geist, in Schweigen tief gehüllt,
          Blickt um sich stumm.
Das Glück irrt wie ein flüchtig Wunderbild
          Im Felde herum.

In unseren Herzen, heimlich still entfacht,
          Ein Wunder loht.
Und über uns stirbt der Tag so sacht
          Den glücklichen Tod.


Übersetzung
Aus dem Polnischen von Lorenz Scherlag

Textnachweis
Aus: Czernowitzer Tagblatt, 15. Mai 1910, S. 12. (Die Orthografie wurde der neuen deutschen Rechtschreibung angepasst, die Interpunktion behutsam modernisiert. Offensichtliche Satz- und Druckfehler wurden stillschweigend ausgebessert.)

Titelbild
Detail aus: Anna Gardell-Ericson, Sonnenaufgang über einer Landschaft mit Wasser

Die Nacht in der Mühle

von Louise Brachmann (1777–1822)

Wohl auf, wohl ab, durch Berg und Tal
Zog Ritter Willibald
Im Morgenrot, im Abendstrahl
Durch Busch und Flur und Wald.

Das Auge trüb, das Herz in Glut
Zog ihn die Liebe fort;
Er suchte sein verlornes Gut
Er fand’s an keinem Ort.

Verschwunden die Geliebte war,
Wohin? er nicht vernahm,
Als er zurück, nach Tag und Jahr,
Vom Krieg aus Welschland kam.

Nichts blieb ihm übrig als ihr Bild,
Das trug er auf der Brust,
Das strahlt ihm aus dem Auge mild
Noch einzig Trost und Lust.

So irrt’ er sonder Ruh noch Rast,
Die Seele bang und schwer;
So irrt’ er dreißig Monden fast
Nach ihr durch Land und Meer.

Und eines Abends, als er lang
Im Wald geritten war,
Da rauscht es ihm wie Wellenklang
Zum Ohr so wunderbar.

Er kam heraus, und glänzend wand
Ein Strom am Fels sich hin,
Und eine Mühle lag am Strand
Gar still im dunkeln Grün.

Fünf braune Tannen rauschten hoch
Am Felsen um ihr Dach;
An ihren Wänden scheidend noch
Der Abendstrahl sich brach.

Der Ritter hielt; gefesselt war
Sein überraschter Blick;
Ihm war, als hielte unsichtbar
Ein Geist ihn hier zurück.

Die Mühle lag so friedlich da
Und lud zur Herberg ein,
Sein Ross war matt, die Nacht war nah
Und rings nur Fels und Stein.

Zwar brauste dumpf der Strom und schwoll
Doch setzt’ er durch mit Mut,
Und kam zur Mühle jenseits wohl
Durchs Schaumgetös’ der Flut.

Er traf hier gute Herberg an;
Ein Stall ward für das Ross,
Für ihn ein Stübchen aufgetan
Im obersten Geschoss.

Indes begrüßten schon das Tal
Die Sterne nach und nach;
Und freundlich fiel der Mondenstrahl
In Willibalds Gemach.

Er trat ans Fenster hin; die Nacht
War schimmervoll und mild;
Am Berge stand in stiller Pracht
Des Mondes lichter Schild.

Und unten, dicht am Fenster schlang
Der Strom sich durch das Tal;
Dem Ritter ward es wohl und bang
Beim dumpfen Flutenschall.

Er zog ihr holdes Bild hervor
Und küsst’ es tausendmal,
Hing’s hoch dann an der Wand empor
Im bleichen Mondenstrahl.

Drauf warf er müd aufs Lager sich,
Doch ruhlos wacht’ er lang;
Und außen, horch! so schauerlich
Kam’s her wie Geistergang.

Und eine dämmernde Gestalt
Trat leis’ zur Tür herein;
Dem Ritter lief es heiß und kalt
Durch Adern und Gebein.

Es schlug sein Herz, sein Odem stand,
Ein Schauer weht’ihn an,
Als jetzt das Bildnis an der Wand
Mit leisem Laut begann:

»Gott grüß dich, schönes junges Blut!
Wie? find’ ich so dich hier?
Ich komme aus der tiefen Flut
Vom Stromgebraus’ zu dir!

Vergönnt ward mir noch diese Nacht
Einmal heraufzugehn.
Dann scheid’ ich, wenn der Hahn erwacht,
Zum Nimmerwiedersehn!«

»Aus tiefer Flut? vom Stromgebraus?
O sag Geliebte mein!
Wie, ruhst du dort im feuchten Haus?
Wie kamst du da hinein?«

»Ach lang schon ist’s, manch Jahr verschwand,
Da reiste wohl mit mir
Mein Vater hier durch dieses Land,
Wir hielten Mittag hier.

Es ruhten alle, Mann und Ross,
Nur ich mit stillem Sinn
Ging dort im Tale sorgenlos
Am Ufer her und hin.

Und sieh! da hob vom Stromgeroll
Die Nixe sich empor,
Ihr Lied so süß und sehnsuchtsvoll
Drang lockend mir ins Ohr.

Mir ward so wohl und ach so weh,
So wunderbar zu Sinn;
Da reichte sie mir weiß wie Schnee
Drei helle Lilien hin.

Und Rosen, rot wie Abendglut:
Ich Arme griff danach,
Und plötzlich, ach! in tiefer Flut
In ihrem Arm ich lag!

Sie trug hierher durchs Wasser mich
In ihrer Schwestern Saal;
Tief unterm Strome wölbt’ er sich
Mit Wänden von Kristall.

Du bist nun unser, hub sie an,
Mein Zauber schließt dich ein!
Nur von dem starken Bande kann
Die Liebe dich befrei’n.

Bewähret noch im sechsten Jahr
Sich deines Liebsten Treu,
So rein und heilig, als sie war:
Dann geh, dann bist du frei!

So sprach sie, und in Tränen schwer
Floss nun mein Leben hin.
Ich sahe nie den Himmel mehr
Und nie des Waldes Grün.

Mein Kummer zehrte still mich auf,
Und fast das Herz mir brach,
Ich seufzte nach der Zeit Verlauf,
Von der ihr Zauber sprach.

Nun ist die Zeit, nun wär’ ich frei
Von ihres Banns Gewalt.
Ach liebte mich so heiß und treu
Noch jetzt mein Willibald!«

»Ich liebe dich! ich fasse dich!«,
Fiel jetzt der Ritter ein,
»Dein Zauber ist gelöst durch mich,
Du bist auf ewig mein


Textnachweis
Aus: Auserlesene Dichtungen von Louise Brachmann, hg. v. Professor Schütz, Bd. 2, Leipzig 1824, S. 124–129. (Die Orthografie wurde der neuen deutschen Rechtschreibung angepasst, die Interpunktion behutsam modernisiert. Offensichtliche Satz- und Druckfehler wurden stillschweigend ausgebessert.)

Titelbild
Detail aus: Elizabeth Siddal, Dame, ein Fähnlein an der Lanze eines Ritters befestigend, um 1856

Drei Gedichte

von Ricarda Huch (1864–1947)

Einsamkeit

Du neigtest, Herz, dich gern, wie sich die Birke neigt,
Dem Nachbarstamme zu.
Steh aufrecht, wie die Tanne trotzig steigt:
Allein bist du.

Wohl strömt ein jedes Ding des eignen Wesens Hauch
Den andern Dingen ein;
Doch will ihr Sehnen überfließen auch,
Sie sind allein.

Schlaft ihr umarmt auf einem Kissen, ihr erwacht
Wie Sonnen fern im Raum;
Nur dass ihr einmal träumt vielleicht bei Nacht
Den gleichen Traum.

Sei deine Welt, dein Stern; beglückt, wenn deine Glut
Am goldnen Leben schafft,
und ford’re nichts. Dir wird kein andres Gut
Als deine Kraft.

Herbst

Die gelben Blätter, wandernd in den Flüssen,
Des Glückes Überfluss, das ich besessen,
Die Küsse, die nun andre Lippen küssen –
Es ist nichts als Erinnern und Vergessen.
Wär’ wieder mein, was mir so lieb gewesen,
Grünte der Wald noch, den der Herbst geräumt,
Bald wär auch das vorbei und kaum geträumt.
O Herz, rings braust das ew’ge Licht Genesen!

Der Augenblick

Du schwebst, o schöner Augenblicke
Melodischer, geschürzter Tanz,
Um meine Rast, und die Geschicke
Drangvollen Lebens weichen ganz.

Ihr löst mich von der heil’gen Kette
Vergangner Tat und künft’ger Frucht,
In flammumstürmter Zufluchtstätte
Versinkt des Sklaven sel’ge Flucht.

Vertauscht die Jahre, mischt die Räume,
Betaut mich mit Vergessenheit!
Schwingt eure schlangenschnellen Säume:
Der Ring wird weit und weltenweit;

Traum wird Gestalt und nah wird ferne
In Zauberkreisen trunknen Lichts –
So blitzt die Ewigkeit der Sterne
Spurlos erlöschend durch das Nichts.


Textnachweis
Einsamkeit, aus: Neues Frauenleben, XXIII. Jahrg., Jänner 1911, Nummer 1, S. 26.
Herbst, aus: Neues Frauenleben, XXIV. Jahrg., Februar 1912, Nummer 2, S. 54.
Der Augenblick, aus: Neues Frauenleben, XXIV. Jahrg., September 1912, Nummer 9, S. 245.
(Die Orthografie wurde der neuen deutschen Rechtschreibung angepasst, die Interpunktion behutsam modernisiert. Offensichtliche Satz- und Druckfehler wurden stillschweigend ausgebessert.)

Titelbild
Detail aus: Olga_Boznańska, Landschaftsmotiv, um 1890

Fünf Lieder

von Helmina von Chézy (1783–1856)

Dort, wo sanfter wehn die Lüfte,
Wo der goldnen Primel Düfte
Wehen unter leichtem Schnee;
Wo durch kühne Felsenbogen
Mächtiger die Fluten wogen,
Möcht’ ich bergen all mein Weh!

Könnt’ ich je mit dir die Auen,
Die so wonnig blühen, schauen,
Wo der Frühling immer blüht;
Wo der Nachtigallen Klagen
Alle Sehnsuchtwonnen sagen,
Die mein trunknes Herz durchglüht!

Eitler Wünsche bunt Gewimmel!
Ist denn Erde mehr als Himmel,
Der in deinem Auge thront?
Stille, süße Blicke sagen
Mehr als Nachtigallenklagen;
Eden blüht, wo Liebe wohnt!

Lasst mich einsam lauschen,
    Wie mein Herz es will;
Wo die Bächlein rauschen,
    Wird die Seele still.

Lasst mich einsam träumen,
    Mild ist Waldesnacht,
Wo in grünen Räumen
    Träumend Sehnen wacht.

Lasst mich einsam weinen,
    Wo im goldnen Strahl
Tauesperlen scheinen,
    Süßer glänzt das Tal.

Lasst mich einsam singen,
    Weil mein Herz so schwer,
Auch die Blumen bringen
    Herz in Düften her.

Lauschen, klagen, träumen
    Wollen einsamlich
Hier in grünen Räumen
    Nachtigall und ich.

O Leben, das kein Leben ist,
Wo du nicht in der Nähe bist!

Es brennt dein Blick mir in der Brust,
Dort schafft er ewig Schmerz und Lust.

Manch liebend Herz ersehnt den Mai,
Ich wünschte, dass er ferne sei.

Manch Herz wünscht, dass die Rose glüht,
Mein Lenz nur blüht, wenn nichts mehr blüht.

Der Lenz, der Tal und Höhen schmückt,
Hat Herzens-Flur mir leer gepflückt.

Die Lerche, die den Frühling bringt,
Mit meinem Frühling fern sich schwingt.

Die Nachtigall, die Rosen liebt,
Für Rosen mir nur Dornen gibt.

Wenn alles duftet, glänzt und lacht
Erstarrt mein Herz in öder Nacht.

Man ratet, was mein Lied wohl meint?
Ach, Treue nur, die einsam weint.

Kannst du wieder leiden, lieben,
    Herz, das dumpfe Ruh’ umfing,
Ist die Kraft dir treu geblieben,
    Die im Sturm nicht unterging?

Ja, die Welt ist nicht mehr öde,
    Und das Leben nicht erstarrt,
Und das Herz sieht nicht mehr blöde,
    Teilnahmlos die Gegenwart.

Alles blüht und glüht im Innern,
    Reiches Leben quillt empor,
Selig Ahnen, süß Erinnern,
    Leuchtet durch der Wolken Flor.

Lieb’ und Hoffnung, milde Sterne,
    Strahlet auf die Wogen hin!
Ob der Irrfahrt Ziel noch ferne,
    Zeigt es hell dem gläub’gen Sinn.

Unter Wonnen, unter Schmerzen,
    Blühet mir ein Sehnen nur;
Sanfter Tod an treuem Herzen
    Und ein Grab auf stiller Flur.

Gib mir Nachtigallen-Klagen,
    Banges Lieben, süßes Leid,
Klagen wie in Frühlingtagen
    Sanft umwölkter Jugendzeit.

Hebt euch stürmend, Lebenswogen
    Besser Sturm als tote Ruh,
Düstre Wolken, kommt gezogen,
    Milder Strahl, erschein auch du.

Auf dem dunkeln Hintergrunde
    Blüht der Iris milde Pracht,
Und der goldnen Träume Kunde
    Leuchtet durch die Schmerzennacht.


Textnachweis
Dort, wo sanfter wehn die Lüfte, aus: Aglaja, Taschenbuch für das Jahr 1824, X. Jahrgang, Wien [1823], S. 77–78.
Lasst mich einsam lauschen, aus: Aglaja, Taschenbuch für das Jahr 1825, XI. Jahrgang, Wien [1824], S. 122–123.
O Leben, das kein Leben ist, – Kannst du wieder leiden, lieben, – Gib mir Nachtigallen-Klagen, aus: Aglaja, Taschenbuch für das Jahr 1826, XII. Jahrgang, Wien [1825], S. 147–149.
(Die Orthografie wurde der neuen deutschen Rechtschreibung angepasst, die Interpunktion behutsam modernisiert. Offensichtliche Satz- und Druckfehler wurden stillschweigend ausgebessert.)

Titelbild
Detail aus: Louise-Adéone Drölling, Interieur mit einer jungen Frau, die eine Blume abpaust, um 1820

Zwei Gedichte

von Grete Wolf (1882–1942)

Ein jedes Morgen …

Ein jedes Morgen hat nun feste Wände,
ist wie ein gut verschlossenes und enges Haus.
Es geh’n nicht mehr der Sehnsucht helle Brände
auf jedem Weg wie Fackeln mir voraus.

Wollt ich’s nicht so: dass ich die Stätte fände,
wo selbst der Schaffende sein Wirken misst;
durch Arbeit, Liebe und Besitztum bände,
was schweifend frei und ewig heimlos ist?

Oh schnell und gierig können Wünsche bauen!
Schon mauert um mein Herz sich satte Ruh.
Nur manchmal fühl’ ich: meine Augen schauen
fremd, wie im Spiegel. Fragen fremd: wozu?

Frauenschicksal

Du bist der Fremde und du bist der Feind.
Du brichst in meinen Frieden ein und raffst
All das für dich, was in mir lacht und weint – –
Ich weiß nur dies, dass du mir Sehnsucht schaffst.

Noch gestern warst du nicht. Ich ging allein.
Und war in mich geschlossen und war gut.
Nun muss ich nach mir selbst voll Sehnsucht sein,
Weil, was ich bin, in deinen Wünschen ruht.

Drum wird mir vieles Böse von dir kommen:
Du wirst nicht hüten, was du jetzt erflehst.
Ganz einsam bin ich morgen, wenn du gehst,
Und arm an allem, was du mir genommen.

Ich will mich bang und glühend an dich pressen,
Küss mir die Augen, Liebster, mach sie blind!
Und gib den Mund – dein Mund ist voll Vergessen – –
Dass wir nicht wissen, wann der Tag beginnt.


Textnachweis
Aus: Neues Frauenleben, XVI. Jahrgang., Nr. 6, Juni 1914, S. 185. (Die Orthografie wurde der neuen deutschen Rechtschreibung angepasst, die Interpunktion behutsam modernisiert. Offensichtliche Satz- und Druckfehler wurden stillschweigend ausgebessert.)

Titelbild
Detail aus: Hilma af Klint, Die zehn Größten, Nr. 3 – Jugend, 1907

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