Elisabeth Heydemann-Möhring

Elisabeth Heydemann-Möhring (* 11. Dezember 1869; † 19. August 1920) war eine brandenburgische Schriftstellerin und Redakteurin. Obwohl sie zu Lebzeiten im ganzen deutschen Sprachraum für ihre Novellen und Erzählungen bekannt war, ist sie heute nahezu vollständig vergessen, ihre Biographie weitgehend unerforscht. Der folgende Abriss zu ihrem Leben und Werk kann daher nicht mehr sein als eine erste grobe Skizze, die durch weitere Forschungen zu ergänzen (und vielleicht auch zu korrigieren) sein wird. Er stützt sich in erster Linie auf einen ausführlichen Nachruf aus der Feder des Kulturhistorikers Eduard Heyck, der mit der Autorin persönlich befreundet war. Daneben habe ich einige Zeitungsnotizen, Rezensionen und die (leider sehr knappen) einschlägigen Einträge in Literaturlexika des frühen 20. Jahrhunderts als Quellen herangezogen.

Die Autorin wurde als Elisabeth Heydemann in Prenzlau geboren, verbachte ihre Kindheit und Jugend jedoch in Eberswalde, wohin ihr Vater nicht lange nach ihrer Geburt als Postsekretär versetzt wurde. »In den Jahren nach der Konfirmation«, schreibt Heyck, »war sie Zögling eines zur Heranbildung für den Lehrerinnenberuf eingerichteten Stifts in einer Thüringer Gegend des preußischen Waldes.« Nach Abschluss dieser Ausbildung war sie zehn Jahre lang an verschiedenen Orten als Lehrerin tätig, ehe sie sich 1898 mit dem Verlagsbuchhändler Rudolf Möhring verlobte. Die Heirat im folgenden Jahr führte die Autorin nach Schwerin, doch schon 1900 übersiedelte das Paar nach Berlin, wo Heydemann-Möhring bis zu ihrem Tod lebte, zunächst in der Schleiermacherstraße, dann an der Ringstraße in Friedenau.

Schon vor ihrer Eheschließung hatte Heydemann-Möhring zu schreiben und zu publizieren begonnen: Ihr erstes Buch Novellen und Skizzen war 1897 erschienen (2. Auflage 1901 unter dem Titel Finale). Die nächsten Publikationen folgten jeweils im Zweijahresabstand: 1899 Krisen. Neue Novellen und Skizzen, 1901 Die Letzten.

In den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts ging die Intensität von Heydemann-Möhrings literarischer Tätigkeit dann merklich zurück, und es dauerte zehn Jahre bis zu ihrer nächsten Buchveröffentlichung. Mit ein Grund dafür könnte sein, dass bald nach der Hochzeit der einzige Sohn der Autorin zur Welt kam und sie in dieser Phase mit mütterlicher Sorgearbeit eingedeckt war. (Das genaue Geburtsjahr konnte ich leider nicht eruieren, doch Heycks Nachruf ist zu entnehmen, dass der Sohn »wohlbehalten« aus dem Ersten Weltkrieg zurückgekehrt war. Da man sich frühestens mit 17 als Kriegsfreiwilliger melden konnte, muss die Geburt daher spätestens 1901 erfolgt sein.)

Ganz zum Erliegen kam Heydemann-Möhrings Schaffen aber auch in dieser Lebensphase nicht. Nach wie vor veröffentlichte sie einzelne Novellen in Zeitungen und Zeitschriften, dazu kam der eine oder andere feuilletonistische Beitrag. 1902 gewann sie sogar einen von der Prager Kulturzeitschrift Bohemia ausgeschriebenen Literaturwettbewerb mit der Novelle Alte Blätter, einem ihrer vergleichsweise seltenen Ausflüge ins historische Genre, in diesem Fall in die Zeit der Gegenreformation. 1905 wurde sie dann selbst zur Jurorin bei einem Literaturwettbewerb bestellt, nämlich bei einem Preisausschreiben für Liedertexte der Zeitschrift Die Musikwelt. Die anderen Jury-Mitglieder waren Paul Heyse, Ludwig Fulda und Gustav Falke. Dass Heydemann-Möhring in diese durchaus illustre (Männer-)Riege aufgenommen wurde, zeugt von der Wertschätzung, die man ihr als Autorin entgegenbrachte.

Die Popularität, die ihre Novellen und Skizzen genossen, lässt sich auch daran erkennen, dass viele davon wieder und wieder in Zeitungen und Zeitschriften neu abgedruckt wurden. Die Skizze Grace Lukas’ Sommer aus dem Novellenband Krisen von 1899 wurde zum Beispiel 1900 im Prager Tagblatt wiederabgedruckt, 1901 in der von Helene Littmann in Wien herausgegeben Zeitschrift Frauenleben und 1906 in der Wiener Hausfrauen-Zeitung. In der letztgenannten Zeitung erschienen zwischen 1904 und 1912 noch vier weitere von Heydemann-Möhrings Novellen. Auch ein anderes Wiener Medium, die von Marie Lang herausgegebenen Dokumente der Frauen, brachte wiederholt Texte von Heydemann-Möhring, darunter eine Rezension zu der von Paul Remer herausgegebenen Lyrik-Anthologie Das Buch der Sehnsucht. Eine Sammlung deutscher Frauendichtung (Berlin 1902). Die angeführten Beispiele belegen nicht nur Heydemann-Möhrings überregionale Bekanntheit, sie zeigen auch, dass sie Kontakte zu Proponentinnen der Frauenbewegung, wie Lang oder Littmann, pflegte, die weit über ihr Berliner Umfeld hinausreichten.

In Berlin selbst führte die Autorin, wie es scheint, allerdings ein eher zurückgezogenes Leben und war in der Öffentlichkeit nur wenig präsent. Das suggeriert jedenfalls die Schilderung, die Eduard Heyck von ihren häuslichen Verhältnissen gibt:

»Still-ruhiges, gesellig etwas abgeschiedenes Eigenleben. (…) Wohnung, Bücherschrank, Bilder im Zeichen des begnügten, liebevollen Wählens, am Tisch ein Anflug der guten alten Zeit durch die heimeligen Erbstücke des Silbers und der schönen alten Tassen. Rege geistige Gegenwartsbildung ohne Modigkeit, ohne berlinische Wichtigkeit. Modig in diesen Jahren waren die Reformkostüme. Es war für Frau Möhring kennzeichnend, wie sie zwischen Scylla und Charybdis von Konfektion und Reformgreuel auch da den Weg ihres Eigengeschmacks wählte, einer häuslichen, persönlichen, aber völlig posenlosen Kleidung. Gespräche über dies und jenes, was in diesen nach ›Kultur‹ suchenden Zeitläuften rumorte und wider einander stritt, immer in ihrer freiheitlichen, scheuklappenlosen, aber auch unbeirrbar nur für die schönere, noblere Entschlusskraft zugänglichen Auffassungsweise, Frauenfragen, soziale Klärung und Pflicht, Zeitphilosophie, Apollonisches und Dionysisches (…).«

Diese Charakterisierung von Heydemann-Möhrings Persönlichkeit und Lebensstil enthält manches, das sich auch auf ihr literarisches Schaffen übertragen lässt. Denn auch ihre Werke waren nicht modisch, nicht modern oder gar avantgardistisch, sondern wie das Tafelsilber und die alten Tassen eher traditionell geprägt, dem Realismus verpflichtet, ohne dabei allerdings reaktionär oder trivial zu sein.

Obwohl seit ihrer Eheschließung in Berlin lebend, griff die Autorin in ihren Texten bevorzugt auf Erfahrungen und Motive aus ihren »Lehr- und Wanderjahren« (Heyck) zurück. Schauplätze der Handlung sind meist die Kleinstädte und Dörfer Norddeutschlands, insbesondere die Küstenorte an der Ostsee. Die Hauptfiguren sind Menschen aus eher einfachen oder prekären Verhältnissen: Fischer und Fährmänner, Putzmamsellen und Lehrerinnen, wobei es in der Regel die Frauenfiguren sind, die im Zentrum stehen. Das Verhältnis der Geschlechter und die unsicheren ökonomischen Verhältnisse bilden als einander überschneidende Problemfelder den Hintergrund, vor dem die Autorin die Schicksale ihrer Protagonist:innen entwickelt.

Exemplarisch zeigt sich das etwa in Heydemann-Möhrings wohl bedeutendstem Werk, der Novelle Und es erhob sich ein Sturm. Die umfangreiche Geschichte bildet das Hauptstück in dem Band Hinter dem Nebel. Zwei Novellen, mit dem die Autorin 1911 gleichsam ihr Comeback auf dem Buchmarkt feierte. (Die zweite darin enthaltene Novelle, Ecce Homo, war erstmals schon 1903 in der böhmischen Zeitschrift Deutsche Arbeit erschienen.) Und es erhob sich ein Sturm erhielt schon beim ersten Erscheinen große, durchwegs positive Aufmerksamkeit vonseiten der Kritik und wurde auch von Heyck in seinem Nachruf als das quasi-Hauptwerk der Autorin besonders ausführlich behandelt. Um einen Eindruck von der Novelle zu vermitteln, sei hier die Rezension zitiert, die die deutsch-ungarische Schriftstellerin Julie Irsai im Mai 1911 für den Pester Lloyd schrieb:

»Wohl selten noch hat sich eine Frau mit diesem Stoffe befaßt. Seemannsleben, Seemannsart, Seemannssprache sind Dinge, die dem weiblichen Empfindungs- und Erfahrungskreise fern liegen. Rein spekulativ aber läßt sich diesem sehr realen Gebiete nicht nahe kommen. Wenn die Autorin in der ersten der beiden vorliegenden Novellen ›Und es erhob sich ein Sturm‹ die Geschichte der überzarten, übersensiblen Lehrerstochter Marret Rickmers erzählt, die aus dem Hause ihres Bruders, des Pastors, wo sie eine Überflüssige ist, dem großen, starken, wohlhabenden und derben Schiffer Jens Jenssen als Frau folgt, so sind die Personen, die Tatsachen, das ganze Leben und Treiben in einer ungewöhnlich prägnanten, eigenkräftigen und charakteristischen Art dargestellt. Die schwerblütigen Menschen der jütländischen Küste, in deren Dörfern es ganze Witwengassen gibt, da das unersättliche Meer die Männer verschlingt, erstehen vor uns, als kennten wir sie alle. Meisterlich gezeichnet sind der alte Taucher Swenson, der etwas wirr im Kopfe ist und immer so geheimnisvoll tut, als säße er stets im Guttaperchaanzug, die Mutter Jenssens, die Bemannung der ›Kabeljau‹, auf der der junge Ehemann auszieht, begleitet von dem stillen Wunsche seiner Frau, er möge nicht wiederkehren, da sie das Grauen vor ihm nicht überwinden kann. Wie dann die kleine Frau, von Furcht und Gewissensbissen gepeinigt, allmählich, je länger die ›Kabeljau‹ ausbleibt, sich als Mörderin fühlt, wie sie endlich bei der Nachricht vom Untergang des Schiffes weiß, daß ihr krankhafter, frevelhafter Wunsch es war, der den Mann in den Tod schickte, das reiht sich dem Besten an, was seit langer Zeit geschrieben wurde. Und als Jens Jenssen dennoch als einziger dem mordenden Element entronnen ist, weil – er sich den Mund nicht mit Salzwasser stopfen ließ, und er nun seine – lütte Schifferfrau auf den Schoß hebt, da kann Marret wohl fühlen, daß ihr nicht mehr vor seinen Liebkosungen graut. (…) Elisabeth Heydemann ist mehr als ein großes Talent. Sie ist eine Persönlichkeit.«

Nach Hinter dem Nebel veröffentlichte Elisabeth Heydemann-Möhring noch zwei weitere Erzählbände: Die Glocken-Glöbe sowie Tanzmeisters Ave, beide 1916. Danach zwang ein sich zunehmend verschlimmerndes Herzleiden sie, kürzer zu treten. In ihren letzten Lebensjahren beschränkte sie sich daher auf die redaktionelle Leitung des Unterhaltungsteils der Zeitschrift Unser Weg, einer halbmonatlich erscheinenden Publikation der Preußischen Landeszentrale für Säuglingsschutz. – Am 19. August 1920 starb die Autorin in Berlin-Friedenau.

[Work in Progress – Zitatbelege werden noch nachgetragen.]

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