Charlotte Löw

Charlotte Löw (auch: Löwe) war eine deutschsprachige Autorin aus Prag, die in den Jahren 1837–1839 eine Reihe bemerkenswerter Glossen und Feuilletons sowie eine Handvoll Gedichte veröffentlichte. Über ihr Leben ist nichts bekannt, außer dass sie in Prag zur Welt kam und dort von 1838 bis mindestens 1855 als Leiterin einer Erziehungsanstalt für jüdische Mädchen tätig war. Es ist daher zu vermuten, dass Löw selbst der Prager Judengemeinde angehörte.

Löws Texte behandeln vorwiegend die Rolle der Frau in der Gesellschaft und stellen – oft mit leicht ironischem Tonfall, aber doch offen und unverblümt – die patriarchale Ordnung in Frage. Sie sind damit wichtige Dokumente der Frühphase, ja eigentlich fast noch der Vorgeschichte der deutschsprachigen Frauenbewegung, auch wenn sie allem Anschein nach von den Zeitgenoss*innen kaum rezipiert wurden. Sowohl die Texte als auch ihre Verfasserin gerieten rasch in Vergessenheit und sind, soweit ich sehe, bis heute auch in der Forschung zur Frauen- und Geschlechtergeschichte unbeachtet geblieben.

Bei allem Einsatz für die weibliche Emanzipation blieb Löw Ansichten doch klar definierten, biologistischen Schablonen verpflichtet. ›Der‹ Mann ist für sie ein tatkräftiger Vernunftmensch, ›die‹ Frau hingegen ein sanftmütiges, duldsames Gefühlswesen. Immer wieder treten in ihren Texten auch eher konservative Vorstellungen über ›geziemendes‹ weibliches Benehmen zutage, etwa in ihrer Kritik an den Briefen Bettina von Arnims oder ihrer Polemik gegen das Schminken (beides in den Nadelstichen). Schließlich bürdet Löw auch in ihrer Forderung, dass eine entsprechende Erziehung der Söhne durch die Mütter das beste Mittel zu gesellschaftlicher Veränderung sei, die ganze Last der Emanzipation den Frauen selbst auf, ohne die Männer groß in Verantwortung zu nehmen. All das ist freilich für diese erste Phase der (deutschsprachigen) Frauenbewegung durchaus charakteristisch und entspricht weitgehend dem, was zur gleichen Zeit etwa Louise Marezoll in der 1838 von ihr gegründeten Frauenzeitung über Die wahre Bestimmung der Frauen schrieb.


Auf Töchter der Zeit habe ich alle mir bislang bekannt gewordenen Texte Charlotte Löws, auf vier Beiträge verteilt, zusammengetragen:

1) Nadelstiche

2) Ehret die Frauen!

3) Lob des Schmerzes

4) Gedichte und Lieder

Auffallend ist, dass Löws Texte mit Ausnahme eines Gedichts allesamt im Wiener Unterhaltungsblatt Der Telegraph (ab 1838: Der Wiener Telegraph) veröffentlicht wurden. Zu den Hauptmitarbeitern dieses Blatts zählte Ignaz Kuranda, der Charlotte Löws wichtigster Förderer war. Beginnend mit Oktober 1837 erschien im Telegraph unter der Überschrift Nadelstiche eine unregelmäßige Serie kurzer Betrachtungen und Glossen, die zum überwiegenden Teil mit Löws Namen signiert sind. Vereinzelt trug jedoch auch eine zweite Autorin, die nur als ›Marianne von K**‹ zeichnete, Texte zu dieser Rubrik bei. Ab 1838 erschienen die Nadelstiche unter der Überrubrik Frauenhallen, die auch anonyme, wohl von den männlichen Redakteuren verfasste Kurznotizen zu ›Frauenthemen‹ enthielt.

Im Telegraph erschienen von Löw auch Ehret die Frauen!, ein quasi proto-feministischer Aufruf zum Kampf gegen das Patriarchat (Dezember 1837), die philosophische Betrachtung Lob des Schmerzes (März 1838) sowie drei Gedichte (Januar bzw. Juni 1838). Letztere erweisen sich mit ihrer metaphernreichen Sprache und einer gewissen Neigung zum Weltschmerz als typische Produkte ihrer Zeit. Zwei von ihnen tragen nur den schlichten Titel Lieder, mit dem Vermerk, dass sie vom damals in Wien weilenden Komponisten Rudolf Gernlein in Musik gesetzt wurden. Näheres über diese Vertonungen konnte ich bislang leider nicht in Erfahrung bringen.


Die beiden Lieder erschienen am 25. Juni 1838 im Telegraph; drei Tage später wurde das Erscheinen des Blattes, mitten im Jahrgang, eingestellt. Löw verlor damit ihren bis dahin ausschließlichen Publikationsort und vielleicht auch ihre einzige Publikationsmöglichkeit – denn es erscheint zumindest fraglich, ob andere Prager oder Wiener Medien damals an Texten interessiert waren, die sich derart stark für die Emanzipation der Frauen einsetzten. Vielleicht liegt darin der Grund, dass Löw – soweit sich feststellen lässt – zu diesem Zeitpunkt als Autorin verstummte. Eine Rolle könnte dabei aber auch gespielt haben, dass sie ihre Zeit und Energie nun ganz in ein anderes Projekt investierte, denn schon parallel zu ihrer publizistischen Tätigkeit war sie damit beschäftigt gewesen, in ihrer Heimatstadt die eingangs erwähnte Erziehungsanstalt für jüdische Mädchen zu etablieren.

Bereits im Oktober 1837 hatte Löw im Prager Unterhaltungsblatt Bohemia ein Inserat geschaltet, in dem sie »israelitische Eltern und Vormünder« von ihrem Plan unterrichtete, »Mädchen aus guten Häusern unter annehmbaren Bedingungen in Kost und Wohnung aufzunehmen, und für die Erziehung derselben, so wie für ihre fernere Ausbildung in jeder Beziehung mit der größten Gewissenhaftigkeit zu sorgen.« Im August 1838 erhielt sie die staatliche Konzession zum Betreiben einer solchen Erziehungsanstalt, im Oktober desselben Jahres wurde das Institut in der Prager Langen Gasse (heute: Dlouhá třída) eröffnet. Ein damals erschienener Kurzbericht der Wiener Theater-Zeitung über das neugegründete Institut betont, dass Löw »durch mehrere geistvolle Journalartikel« bekannt sei; in der Wiener Tageszeitung Der Adler ist ganz ähnlich von der »als Schriftstellerin und Lehrerin nicht unbekannten Mad. Löw« die Rede. Letzteres legt nahe, dass die Autorin auch zuvor bereits als Lehrerin tätig war.

In mehreren ihrer Beiträge für den Telegraph hatte Löw die Bedeutung weiblicher Bildung als Mittel zur Gleichstellung betont. Die Gründung der Erziehungsanstalt bildete also gewissermaßen die Fortsetzung ihres Engagements mit anderen Mitteln. Löw selbst unterrichtete an dem Institut Handarbeiten, die übrigen Fächer waren einschlägig qualifizierten Lehrkräften anvertraut, zu denen Anfang der 1840er-Jahre auch Moritz Steinschneider zählte. Zweck und Lehrplan des Instituts legte Löw 1839 in einem umfangreichen Zeitungsinserat wie folgt dar:

»Während für die höhere Ausbildung der Söhne Hilfsmittel jeder Art, Schulen jeden Ranges offen stehen, ist die Erziehung der Töchter auf die engen Grenzen des Hauses beschränkt. Bei den Verhältnissen des israelitischen Familienlebens aber, wo die Frau ihrem Gatten in seinen Berufsgeschäften treulich zur Seite zu stehen pflegt, ergibt sich häufig der Umstand, daß selbst Mütter von höherer Bildung der Erziehung ihrer Töchter nicht die gehörige Aufmerksamkeit widmen können.

Dieß berücksichtigend, entschloß sich die Unterzeichnete mit hoher Gubernial-Bewilligung vom 30. August l. Jahres Z. 44051, ein Lehr- und Erziehungs-Institut für israelitische Mädchen ins Leben treten zu lassen, in welchem die Zöglinge zu ihrer Bestimmung bestens vorbereitet werden sollen. Das Streben der Anstalt erzielt somit die Bildung des Herzens durch Religiösität und Sittlichkeit, die Bildung des Geistes durch zweckmäßigen Unterricht und endlich den Anstand und die Anmuth des Aeußern durch naturgemäße physische Erziehung. (…)

Der Unterricht in dieser Anstalt wird sich auf nachstehende Gegenstände erstrecken, als:

a) Die mosaische Religionslehre in allen Beziehungen und Verhältnissen auf das Leben.
b) Literarische Gegenstände, bestehend in: 1. deutscher Sprachlehre, 2. Ortographie, 3. Schönschreiben, 4. Styl, sowohl in den gewöhnlichen Aufsätzen und Briefen, als auch in seiner höheren Bedeutung, 5. Lessen mit Inbegriff der Declamation, 6. vaterländische Geschichte, 7. Mythologie, 8. Geographie, 9. Naturgeschichte und 10. das Nützlichste der Naturlehre.
c) Französische Sprache, wobei durch ein vorzügliches Augenmerk auf öfters Sprechen und Sprechenhören, eine leichte und moderne Conversation erzielt werden soll.
d) Weibliche Handarbeiten, als: Stricken, Nähen, Merken, alle Arten Stickereien, Netzen, Schlingen, Hackeln und Kleidermachen.
e) Rechnen mit besonderer Rücksicht auf das Kopfrechnen, da es überhaupt das stete Augenmerk dieses Instituts sein wird, die Zöglinge zu lebenspraktischen, in allen Fächern der häuslichen Geschäfte geübten Mädchen heranzubilden.
f) Musik, Tanz und Zeichnen.

Auf Verlangen wird auch der Unterricht in englischer und italienischer Sprache erteilt. Endlich wird eine zahlreiche Bibliothek der ausgewähltesten Jugendschriften sowohl zur Erholung als Belehrung der Zöglinge beitragen.«


Charlotte Löw lässt sich bis 1855 als Leiterin der von ihr gegründeten Erziehungs-Anstalt nachweisen. Was danach aus der Anstalt und ihrer Gründerin wurde, konnte ich bislang nicht eruieren. Es ist nicht auszuschließen, dass Löw in jenem Jahr oder bald danach starb. Leider liegen aber, wie schon eingangs erwähnt, überhaupt kaum Informationen zu Löws Biographie und Lebensumständen vor.

Immerhin eine knappe Erwähnung findet die Autorin in der anonymen Schrift Oesterreich im Jahre 1840 (Leipzig 1840), wo sie in einem Abschnitt zur Prager Literaturszene aufgelistet wird. Dieser Quelle verdankt sich die Information, dass sie durch Ignaz Kuranda gefördert wurde. Darüber hinaus wird auch dort jedoch nur kurz auf ihre Mitarbeit am Telegraph und ihre Tätigkeit als Erzieherin verwiesen.

Ein klein wenig umfangreicher ist eine Erwähnung in Uffo Horns Essay Die Schriftstellerinnen in Oesterreich aus dem Jahr 1838 (in: Der Novellist. Zeitschrift für unterhaltende, moderne Lektüre). Horn beginnt freilich mit der wenig schmeichelhaften Feststellung, er führe Löws Namen nur an, weil es in Österreich so wenige Schriftstellerinnen gebe, dass man selbst »unbedeutenden Anfängerinnen eine Stelle in der Reihe anweisen [muss], um nur eine Nomenklatur aufzubringen, die ungeachtet aller Completirungsversuche, eine äußerst kärgliche bleibt«. Was er dann über Löw selbst zu sagen hat, enthält leider abermals keinerlei biographische Details, sondern bloß eine Kritik ihrer Arbeiten, die allerdings nicht ohne misogyne Klischees auskommt:

»Als Repräsentantin der journalistischen Bestrebungen und Verfechterin sozialer Tendenzen sucht sich Charlotte Löwe geltend zu machen. Sie promenirt bis jetzt nur in dem Ziergarten der Journalistik, wo es freilich mehr Schwäne, Vergißmeinnicht und sandbestreute Baumgänge, als Adler, Alpenblumen und halsbrecherische Felspartien giebt; aber sie nimmt zuweilen einen Anlauf, als wollte sie über die Gartenmauer hinwegsezen und im freien Felde Krieg führen mit den ›Herren der Schöpfung‹, wie sie mokant und ironisch die Männer zu schelten pflegt. Charlotte Löwe ist eine kriegerische Natur, eine Jeanne d’Arc in der Art, wie sie die Birch-Pfeiffer zu spielen pflegte. Sie rasselt mit einem Kettenpanzer von klirrender Reflexion und trägt auf dem Haupte ein Paar kokette, mit grünen und blauen Worten gefärbte Schwungfedern der Dialektik; aber, statt dem zweischneidigen Schwert, eine Nadel in der Hand, was einen ärgerlichen Doppelsinn zuläßt. Ihre ›Nadelstiche‹, die der Wiener Telegraph aufbewahrt, haben die Prätention, klaffende Wunden beizubringen. Charlotte Löwe hat weder den Muth der Dudevant, noch die Kraft und Geistesschärfe der Rahel, noch die Liebenswürdigkeit der Gay-Girardin; eine Frau, mit der Fahne in der Hand vor einem Heerhaufen schreitend, ist ein erhabener Anblick; doch aus einer Conversations-Kleinkrämerin wird nicht leicht eine moderne Wlasta, und Fehdebriefe an die Männerwelt müssen mit Geist und Witz unterstützt sein.«

Es fällt auf, dass Horns Kritik sich vordergründig nicht gegen Löws emanzipatorisches Anliegen richtet, sondern vielmehr darauf abzielt, dass es der Autorin an Talent und Esprit fehle, es entsprechend umzusetzen. Man kann sich allerdings fragen, ob hier nicht das Herausstreichen angeblicher ästhetischer und rhetorischer Mängel als Vorwand dient, um sich mit dem Inhalt erst gar nicht auseinandersetzen zu müssen. Mit dem Verweis auf die Autorinnen Aurore Dudevant (d. i. George Sand), Rahel Varnhagen von Ense und Delphine Gay-Girardin zeigt Horn aber immerhin, dass er durchaus mit den internationalen Proponentinnen der beginnenden Frauenbewegung vertraut ist und Löws Texte entsprechend einzuordnen versteht.

Für Charlotte Löws Schaffen ist aber wohl nicht nur dieser überregionale Referenzrahmen weiblichen Schreibens von großer Bedeutung, sondern auch das lokale Bezugsfeld: In den 1830er-Jahren begannen nämlich die deutschsprachigen Kulturschaffenden Prags sich – auch vor dem Hintergrund der aufkommenden tschechischen Nationalbewegung – zunehmend zu organisieren. Eine ganze Reihe von Zeitungen und Zeitschriften wie Ost und West, Libussa und die schon genannte Bohemia wurden als Publikationsorgane für deutschsprachige Literatur, aber auch historische Forschung und Volkskunde ins Leben gerufen. Auch wenn zu Charlottes Löws persönlichem Bildungshintergrund nichts bekannt ist, lässt sich daher doch feststellen, dass ihre Texte in einem intellektuell stimulierenden Milieu (dem übrigens auch andere Autorinnen wie Juliane Glaser oder Karoline Hell angehörten) entstanden.

Besondere Beachtung verdient in diesem Zusammenhang das literarische Jahrbuch Camellien. Almanach für 1840, das im Spätherbst des Jahrs 1839 herauskam. Es stellte den gezielten Versuch dar, die in Prag tätigen deutschsprachigen Schriftsteller:innen gesammelt zu präsentieren. Enthalten ist darin auch ein Gedicht von Charlotte Löw. Es ist ihre letzte bislang nachweisbare Veröffentlichung, und die einzige, die nicht im Telegraph erschien. – Aber vielleicht lassen sich in Zukunft ja doch noch weitere Publikationen Löws finden oder auch weitere Details zu ihrem Leben. Sollte das der Fall sein, gibt es hier natürlich entsprechende Updates …

Bloggen auf WordPress.com.

Nach oben ↑

%d Bloggern gefällt das: