von Hilda Bergmann (1878–1947)

Herbst
Gehst du wieder, Fackeln in den Händen,
Hängen zu, die du mit Feuer färbst,
sanfter dann zu blumigen Geländen,
Farbigkeit noch einmal zu verschwenden,
ehe deine Sonnentage enden,
bunter Herbst?
Ach, schon raubt der Frost von deinem Feste,
was der Wind des Nordens übrig ließ:
Blätter taumeln trunken vom Geäste
und bedecken welke Rasenreste
wie ein goldnes Vlies.
Bald, – und auch die hundertjähr’gen Linden
geben ihren Schmuck den Stürmen preis.
Und die Teiche, offen allen Winden,
fühlen ihren Augenstern erblinden
jäh im Eis.
Das gelbe Blatt
Auf glatter Fläche schwimmt ein gelbes Blatt,
wer weiß, aus welcher Ferne hergeweht.
Des Windes leichte Hand hat es gesät
in einen Teich unweit der großen Stadt.
Es schwebt wie eine Blütenflocke, die
ihr leuchtend Gold dem Wassergrün vermählt:
ein Stückchen Leben, licht und glanzbeseelt
auf einem Grunde von Melancholie.
Sanfter Herbst
Ein sanfter Herbst geht seinem Ende zu
Die Bäume, schon im Purpur der Vergängnis,
schwer von der Früchte reifender Bedrängnis,
ermüdeten und sehnen sich nach Ruh’.
Vom Pflug zerrissen liegt das Land im Hauch
des blauen Tags. Es strömt aus jeder Rille
Geruch von Erde. O geliebte, stille,
verträumte Zeit! Was macht es, wenn dann auch
der Winter kommen muss nach dem Gebot,
dem das Geschaffne hörig ist und pflichtig?
In dieser Stunde ist nur eines wichtig:
das Leben lieben treu bis in den Tod.
November
Nun gießt das Jahr aus dem geneigten Kruge
die letzten Tropfen glänzend-bunten Scheins.
Gerötet sind die Ranken wilden Weins.
Wildgänse schreien im Vorüberfluge.
Geerntet ist, was Feld und Wiese boten,
geborgen alles ackerauf- und ab.
Dort drüben auf dem Erntefeld der Toten
entbrennen Kerzen über jedem Grab.
Auf jedem Hügel weiße Chrysanthemen.
Es ist, als wollte deren mildes Licht
wie Freundeshand dich bei den Händen nehmen,
dich trösten wie ein Freundesangesicht.
Es ist, als raunt’ es in den Friedhofseschen:
»Bald kommt ihr nach, ihr Wandrer in der Zeit.
Lasst nur die Leuchte Liebe nicht erlöschen
und seid gesammelt, still und schnittbereit.«
Raureif
Raureif hat heut’ den Garten eingehegt
und sein Gezweig in Hauch und Flor gefangen.
Jedweder braune Strauch am Wege trägt
Kristallgeschmeide und Korallenspangen.
In feinstem Zug dem Leben nachgespürt
bildet der Frost als Künstler die Gedanken:
Nie hat ein Goldschmied feiner ziseliert
solch Gitterwerk von Blatt und Silberranken.
Nie hat ein Dichter freier überspannt
die Welt mit einem Wundernetz von Blüten.
Heut’ morgen ist der Park ein Märchenland
und in Legenden eingewirkt und Mythen.
Er strahlt in seiner ungewohnten Haft,
hoch in der Luft krächzt missvergnügt ein Rabe.
Ich aber seh’ vor solcher Meisterschaft,
wieviel, wieviel ich noch zu lernen habe …
Textnachweis
Herbst, aus: Hilda Bergmann, Zünd Lichter an. Gedichte, Wien 1936, S. 22.
Das gelbe Blatt, aus: Am häuslichen Herd. Schweizerische illustrierte Monatsschrift, 50. Jg. (1946–1947), 5. H., S. 93.
Sanfter Herbst, aus: Am häuslichen Herd. Schweizerische illustrierte Monatsschrift, 46. Jg. (1942–1943), 2. H., S. 38.
November, aus: Am häuslichen Herd. Schweizerische illustrierte Monatsschrift, 46. Jg. (1942–1943), 3. H., S. 65.
Raureif, aus: Jugend, Jg. 1925, Heft Nr. 49, S. 1174.
(Die Orthografie wurde der neuen deutschen Rechtschreibung angepasst, die Interpunktion behutsam modernisiert. Offensichtliche Satz- und Druckfehler wurden stillschweigend ausgebessert.)
Titelbild
Detail aus: Olga Wisinger-Florian, Friedhof in der Dämmerung
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