Briefe aus Teplitz

von Marianne von K**

I.

Erklärt mir, Graf Oerindur, warum wir Frauen nicht ebenso gut schriftstellern sollen als wie Ihr gottlosen Männer? Glaubt Ihr, weil uns das Schwert zu gewichtig sei, dass auch die Feder Schwielen in unsere Hand drücken könnte? Glaubt Ihr, weil wir nicht die Kraft haben, zu zerstören, fehle uns auch die Kraft zum Schaffen? Und warum liegt Ihr denn zu unseren Füßen und fleht um unsere Gunst, warum krümmt Ihr Euch, um unsere Huld zu erlangen? Ist das keine Schöpfung, wenn wir Euch aus Eurem Nichts in den Himmel unserer Liebe erheben? O, Ihr wisst zu gut, welch ein Paradies in unserer Hand liegt, darum buhlt Ihr auch stets darum und seid glücklich, wenn wir sie Euch reichen; aber schreiben sollen wir nicht davon, und warum? – weil Ihr unsere geistige Übermacht fürchtet! Die Suppe könnte verbrennen und das Essen versalzen werden, wenn wir zu lange am Schreibtische sitzen, sagt Ihr mit erzwungenem Lachen. Als ob wir nicht nach Tische schreiben könnten! Aber ich weiß, Ihr meint eine ganz andere Suppe, die wir Euch verderben könnten. Nun, über mich soll keiner klagen, und wenn ich diese Zeilen schreibe, so geschieht es mit hoher und gnädiger Erlaubnis meines Herrn Gemahls, dem der Kellner die heiligsten Versicherungen gegeben hat, dass die Suppe mit ihrem ganzen Gefolge sich bei ihrer Darstellung unsere Huld und Zufriedenheit erwerben werde. Wir wohnen im Hotel de Londres, und ich will es diesem Engländer glauben, dass die Bill, die er im Oberhause – auf unserem Zimmer – entworfen, im Unterhause – d. h. im Speisesalon – mit Beifall angenommen wird. Ruhig und sorglos will ich mich daher dem Vergnügen, Ihnen Mitteilungen zu machen, überlassen.

Ich fühle mich so leicht, so heiter, der Himmel hat die dunklen Vorhängen, hinter welchem er die Sonne so lange versteckt hielt, heute endlich auseinander geschlagen und uns das glänzende Antlitz jener großen Königin sehen lassen. Wenn die goldenen Strahlen derselben Teplitz bedachten, dann sucht die Gegend ihresgleichen. Man weist Karlsbad den ersten und Teplitz den zweiten Rang unter den böhmischen Kurorten an; aber diese Rangordnung ist hier ebenso schlecht angewendet, als wenn man sagt: Goethe ist der erste und Schiller der zweite deutsche Dichter. Es gibt Menschen, die zwei Größen nicht nebeneinander sehen können, ohne an Sonne und Mond zu denken. Vorzüglich die Männer sind es, die immer eines dem andern untergeordnet sehen wollen. Der Ausspruch: »Und er soll dein Herr sein« hat manchen Ehemann unter den Pantoffel gebracht; denn der Mann muss beherrscht sein, wenn er nicht herrschen soll. Gleiche Rechte leuchten ihm schwer ein. Teplitz und Karlsbad können recht gut nebeneinander bestehen, jedes hat seine eigenen Schönheiten. Karlsbad trägt den Typus der Romantik, Teplitz hat mehr klassisches Element. Wie ein schwärmerisches Jüngling liegt das Karlsbader Tal unter dunklen Felsen im Waldesschatten, die schlanke Sylphide des kleinen Flusses hat ihren Arm um seinen Nacken geschlungen, und Tränen dringen aus ihren Augen, die sie an dem Busen des Geliebten verbirgt. In seinem Innern aber kämpfen widerstrebende Gefühle: Sehnsucht nach den blauen Höhen, Liebe zu der teuren Jugendgefährtin durchströmen mit siedenden Quellen seine Brust. Mit der einen Hand umschlingt er feurig die Geliebte, die andere streckt er schwärmerisch zu den Spitzen jener Berge, deren tausendjährige Eichen ihre Wipfel zum Himmel erheben und das Geflüster der Wolken hören und die Geheimnisse der Gottheit einander zulispeln. Da erhebt der Dreikreuzelsberg sein ehrwürdiges Haupt und zeigt dem Jünglinge jenes heilige Symbol, welches die Liebe mit dem Glauben in sich vereint, und wie es der Jüngling erblickt, sinkt er betend auf seine Knie, und der aufgehende Mond wirft sein weißes Licht auf sein zuckendes Angesicht. Ein ganz anderes Bild gewährt Teplitz. Die Natur ist hier plastischer, ihre schönen, wohlgeformten Glieder sind nicht unruhig bewegt, überall ist heiterer Himmel und griechische Klarheit; auf dem Schlossberge aber steht Helios und schaut mit glänzenden Augen hinein in die Badehäuser, wo mehr als eine Venus aus den Wellen steigt und liebliche Najaden in den Gewässern plätschern.

Aber Sonnenschein muss Teplitz haben, wenn es seinen schönen Charakter nicht verlieren soll; sobald es regnerisch wird, ist sein ganzer Reiz dahin. Wir sind bereits acht Tage hier und leben wie in einem Dorfe. Denn das Theater, welches abends die einzige Unterhaltung bieten soll, erinnert eben nicht an das klassische Altertum, obgleich der Direktor Römer heißt. Noch ist hier übrigens das eigentliche Kurleben nicht angebrochen; denn da Teplitz von vielen als Nachkur des Karlsbades gebraucht wird, so füllt es sich erst in der Mitte des künftigen Monats; bis heute enthält die Badeliste 600 Personen, wovon aber viele wieder abgereist sind. – Wir wollen heute nach der Schlackenburg fahren, beten Sie für mich, dass der Himmel uns gewogen bleibe.

II.

Noch aus einem Grunde kann man Teplitz klassisch und Karlsbad romantisch nennen: In Teplitz wird gebadet nach der schönen Sitte der Griechen und Römer, in Karlsbad aber wird getrunken, ein wahres Zeichen des romantischen Rittertums. Ach, es muss eine poetische Zeit gewesen sein, als wir Frauen nur demjenigen unsere Gunst schenkten, der die meisten Schädel gespalten hatte und zur Ehre und zum Preise unserer Schönheit aus ungeheuren Humpen sich täglich voll soff! Ritterliche Galanterie – man kann Krämpfe bekommen, wenn man daran denkt. Bei den Griechen hörte man in ihren entartetsten Zeiten nie von solchem Skandal. Bei den Spartanern war Trunkenheit ein Verbrechen; in Athen durfte kein Sklave in der Schenke trinken. Das Baden war ihre höchste Leidenschaft. Dagegen finden wir in allen Ritterbüchern, vom Nibelungenlied bis auf die Heldentaten des Ritters Don Quixote herab, keine Spur, dass sich einer jener tapferen Kämpen je gebadet oder auch nur abgewaschen hätte. Es mögen saubere Menschen gewesen sein. Für meinen Geschmack nehme ich nicht ein ganzes Fass voll romantischer Poesie für ein Kästchen Griechentum. Mein Herr Gemahl kann sich beim Schicksal bedanken, dass wir nicht in Wien wohnen; so ein schöner Grieche könnte ihm leicht gefährlich bei mir werden. Übrigens haben wir auch in Teplitz eine Trinkanstalt; selbe befindet sich – wohlgemerkt – hinter dem Herrenhause. Doch ist diese Trinkanstalt auch von Frauen stark besucht, und die Teplitzer schmeicheln sich mit der Hoffnung, dass noch mehre derlei Quellen in der Nähe sich befinden. Wenn diese Hoffnung zu Wasser wird, dann ist den Teplitzern geholfen, und es dürfte dem Karlsbade ein gefährlicher Rival entstehen. Dagegen erhält Teplitz selbst wieder einen Nebenbuhler an dem angrenzende Dorfe Schönau, wo sich das Schlangen- und Steinbad befindet; denn indem man hier das nahe Stadtleben mit einem idealisch-ländlichen Aufenthalte verbinden kann, wird es für jeden Badegast ein wünschenswertes Asyl, und so mancher Fremdling, der in den hiesigen Quellen sich Heil gesucht, hat, von der Lieblichkeit dieses idyllischen Aufenthaltes ergriffen, die Worte wiederholt: »Hier ist’s gut sein, hier lasst uns Hütten bauen!« Nach den pekuniären Verhältnissen dieser Naturfreunde haben sich dann die Hütten in schöne Wohnhäuser verwandelt, so dass das Dörfchen mit der Stadt in die Schranken treten darf. Indessen macht diese immer mehr und mehr Fortschritte, neue Häuser fliegen auf, und auch das Herrenhaus, welches das alljährliche Logis des Königs von Preußen ist, wurde heuer durch den Anbau eines neuen Flügels vergrößert. Nach dem neuen Schlossberge ist eine gebaute Chaussee errichtet worden, wodurch nunmehr der Besuch auf jener herrlichen Höhe erleichtert wurde. Allmählig wird es lebendiger hier. Am 29. Juni kam der Fürst Radziwill mit seiner Gemahlin hier an; Letztere ist eine Tochter der Fürstin Clary. Vorgestern langte endlich auch der langerwartete Gouverneur des Königreichs Polen, Fürst Paskewitsch, an, und bezog eine Wohnung von 19 Zimmern. – Morgen oder übermorgen (am 7. oder 8. Juli) aber erwartet man Se. Majestät den König von Preußen, dessen Ankunft immer mit einer kleinen Festivität gefeiert wird.


Textnachweis
Aus: Der Telegraph, II. Jg., No. 82, 10. Juli 1837, S. 340; II. Jg., No. 83, 12. Juli 1837, S. 343.
(Die Orthografie wurde der neuen deutschen Rechtschreibung angepasst, die Interpunktion behutsam modernisiert. Offensichtliche Satz- und Druckfehler wurden stillschweigend ausgebessert.)

Titelbild
Detail aus: Amalia Lindegren, Augusta von Fersen, 1844

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