Nadelstiche

von Charlotte Löw

9. Oktober 1837

Man hat die Frauen oft mit Schmetterlingen verglichen; warum nicht mit Bienen? Wenn sie so an ihrem stillen, traulichen Nähtischchen mit ihrer Arbeit beschäftigt sitzen, wie sehr gleichen sie dann einer Biene! Nicht des Fleißes, auch nicht des Stachels wegen, den sie in Händen haben, sondern weil sie dann mit ihren Gedanken so gern in bunten Schwärmen ausfliegen und sich auf einen Gegenstand niederlassen, von dem sie erst nach vielem Schütteln und Rütteln wieder loszubringen sind. Wer ihr Wachs bei solcher Gelegenheit zu sammeln versteht, der kann ein Licht daraus bekommen, welches das Innere manches Herzens vor seinen Blicken erhellt. –

Man sagt, die Freude hat Flügel. Wohl muss sie welche haben; denn sie ist ein Engel, eine Bewohnerin des Himmels. Nur ungern senden die Götter diese strahlende Fee zur Erde nieder, noch weniger gern trennt sie selbst sich von ihrer lichten Heimat. Darum ist ihr Flug so langsam und träge, wenn sie sich einem Sterblichen nähern muss; darum ist er so blitzschnell und unaufhaltsam, wenn sie davonfliegt. Anders ist es mit dem Grame. Er ist ein Bewohner der Finsternis, ein greiser Sünder, dem die Verdammnis der Unterwelt zuteilwurde. Die Erde mit ihrem Lichte ist für ihn ein Paradies, und wenn die Dämonen ihn mit seiner Sendung zu den Menschen schicken, da kann er seine Krücke nicht hastig, nicht eilig genug in Bewegung setzen. Darum ist er weit schneller im Kommen als im Gehen; er hat alle seine Kräfte im Herbeieilen verschwendet und ist daher umso langsamer beim Fortschleichen.

11. Oktober 1837

Stille Trauungen gleichen hastigen Mahlzeiten – sie sättigen, aber sie nähren nicht; dass sie in ihren Folgen schädlich werden können, das ist eine Ursache, weshalb man dafür warnen muss. Und doch nimmt die Mode, Trauungen ohne Feierlichkeiten, Hochzeiten ohne Gepränge vor sich gehen zu lassen, immer mehr und mehr überhand! Man nennt das einen Fortschritt der Bildung, während es ein Rückschritt der Klugheit ist. Es gibt gewisse Abschnitte im Leben, wo Gepränge und Feierlichkeit nötig sind, damit sie die Grenze beleuchten, damit wir nicht vergessen, dass wir die Marken unseres bisherigen Vaterlandes überschritten haben und in einem andern uns befinden, wo andere Gesetze und andere Rechte herrschen. Bei dem Manne, der in den Ehestand tritt, ist dies noch nötiger als bei dem weiblichen Wesen. Das Mädchen tritt aus dem Vaterhause in jenes des Gatten ein. Diese Veränderung ihrer Lage und ihres Standpunktes ist markiert und wichtig genug für sie, als dass nicht ihre neuen Pflichten mit jener Veränderung umso lebendiger Eingang bei ihr fänden und die Grenze, die um sie gezogen wurde, ihr stets in Gedächtnis riefen. Bei einem Manne aber ist die Ehe gewöhnlich nur eine Vermehrung seines Hausstandes; seine äußeren Verhältnisse bleiben gewöhnlich dieselben, ohne Umstaltung und Veränderung. Der Mensch aber ist nun einmal ein sinnliches Wesen, und solange er jene Hülle nicht abgestreift hat, durch welche allein die Eindrücke Zugang zu seiner Seele finden, solange muss er auch an den Eingangspforten den gebührenden Zoll erlegen. Darum, soll des Mannes Seele ergriffen werden von der Heiligkeit und Bedeutung seines neuen Standes, so darf ihm dieser nicht kahl und matt entgegentreten! Man behauptet, der Ernst und die Unverbrüchlichkeit der Ehe sei in unserem Jahrhundert schwächer als vor alters. Sollte dieses nicht auch seinen Grund haben, weil der Hochzeitstag, von Schmuck und Glanz entledigt, nicht würdig genug entgegentritt?

23. Oktober 1837

Die Männer sind doch manchmal in der Tat recht possierlich mit ihren Ansichten und Zumutungen dem weiblichen Geschlechte gegenüber. In einer unlängst erschienenen Schrift will ein Hr. Werner den Frauen durchaus das Reiten streitig machen, weil es nach seinem Ausspruche der weiblichen Zartheit und überhaupt der weiblichen Bestimmung entgegen sei. Ob das Essen wohl dem weiblichen Geschlechte erlaubt sein dürfte, davon schreibt Herr Werner zwar nichts; aber sollte nicht das Kauen unserer Zartheit entgegen sein? Und ist nicht die Bestimmung des Weibes zu dulden, und wäre es daher nicht ganz gerecht, dass wir auch den Hunger dulden sollten? – Das Reiten kommt uns Frauen nicht zu! – Wie, wenn wir nun den Satz umdrehen und behaupten wollten, den Männern sei das Fahren unzukömmlich, weil es der männlichen Kraft nicht zukommt, sich schleppen zu lassen, und weil es überhaupt seiner Bestimmung entgegen sei, so weichlich zu sein? Oder ist das Reiten auf einem lebendigen Rosse für eine Dame unanständiger als das Reiten auf einem Steckenpferde für einen Mann? Lasset uns immerhin dies kleine Vergnügen, ihr Herren der Schöpfung! Wir überlassen euch dafür jene edle Reiterei, wobei das Pferd den Herrn tyrannisiert; wir überlassen euch die – Steckenpferde. Seid doch gerecht und prüfet genau, wie selten diese Art Reitkunst bei den Frauen ist. Mann und Kind und Haushaltung, das sind die einzigen Steckenpferde des edlen Weibes (bei dem schwächeren kommt höchstens noch der Spiegel als das vierte im Bunde); der edelste Mann aber hat, neben Weib und Kind und Berufsgeschäft, noch eine ganze Stallung von Steckenpferden. Von dem minder edlen will ich gar nicht sprechen. Darum, meine Herren, drücket immer ein Auge zu und lasset uns reiten! Wir wollen zum Danke dafür beide Augen zudrücken.

Wie viel wird bei der weiblichen Erziehung vernachlässigt; selbst bei dem Unterrichte ist der Knabe vom Geschick schon begünstigt; wie sucht man nicht durch große Vorbilder seinen Geist, seine Phantasie zu entflammen! »Cornelius Nepos«, »Plutarch«, das sind die Bücher, welche man ihm in die Hände gibt; man führt ihn auf die Höhen und zeigt ihm glänzende Sternbilder und Namen, vor welchen die Erde sich bückt. Und dem Mädchen? »Marianne Strüf«. Ist das hinreichend, den Nepos zu ersetzen, hat das Weib keine höhere Bestimmung, als Teig zu kneten und schmutzige Wäsche aufzuschreiben? – Oder ist etwa unser Geschlecht so arm an großen Vorbildern? O, ich könnte euren vielgerühmten Helden und Weisen Weiber entgegenstellen, mit glänzenden Kronen auf dem Haupte und krönendem Glanze im Haupte, wüsste ich nicht, dass ihr sie wohl kennt! Aber, was sollen uns die Beispiele großer Regentinnen? Denket ihr, das Weib soll gehorchen und nicht herrschen, solche Beispiele könnten uns verderben? Aber wir haben ja auch Heldinnen, glänzendere und größere, als euer Plutarch sie aufzuweisen hat.

27. November 1837

Fast jede Frau betrachtet eine neue Männerbekanntschaft mit den Beziehungen der Liebe. Der Mann mag noch so reizlos und uninteressant sein, die Frau forscht überall an ihm. Ob nichts Liebenswürdiges an ihm aufzufinden sei, – und solange sie nicht vom Gegenteil überzeugt ist, wird ihr der Mann nicht völlig gleichgültig. Das Lieben und Geliebtwerden ist nun einmal unser Beruf! Natürlich ist es dabei nicht immer auf jene Liebesverhältnisse, oder was man im gemeinen Leben so zu nennen beliebt, abgesehen, sondern nur auf die Frage des Interesses oder der Gleichgültigkeit.

Die gewaltigsten Herrscher unseres Lebens sind unsere Gedanken; selbst im Schlafe sind wir ihnen dienstbar, selbst unsere Träume unterliegen ihrem Zepter. Dünkt es uns doch bisweilen, als streckten in die Träume sogar ganz fremde Mächte gebieterisch ihre Hände! Im Schlafe sehen wir Gedanken und Bilder ausgewachsen vor uns stehen, deren Anfänge wir kaum in unserem Herzen geahnt haben. Unsere Bildung wird nicht selten sogar in den Träumen verarbeitet, neu gerichtet und gewendet; unsere Selbstständigkeit ist zu Ende, aber unsere Kräfte sind gewachsen: Wir empfinden uns freudig oder schmerzlich als die unmittelbaren Werkzeuge höherer Gewalten. Vielleicht ließen die älteren Völker darum ihre Götter im Traume kommen und mit den Menschen reden! Vielleicht nennt man darum die begabtesten Menschen – die Poeten – Träumer, weil wir sie erfüllt sehen von göttlichen Worten und Gedanken, die ihnen nur direkt von der Gottheit gekommen sein können, im Schlafe und Traume! Wenn es ein Mittel gibt, die Zukunft zu erraten, so liegt es gewiss in den Träumen. Diese Kenntnis der Zukunft wäre aber gleich jener Frucht vom Baume der Erkenntnis, welche die neugierige Eva naschte und die ihr den Tod bereitete. Die Erfüllung ist der Tod des Wunsches, und wer nichts mehr wünschen und hoffen kann, der ist des Todes.

10. Januar 1838

Das Verhältnis des männlichen und weiblichen Geschlechtes gleicht dem Verhältnisse der rechten und linken Hand. Beide sind Zweige eines Baumes, beide sind an Gestalt gleich; aber das Vorurteil hat sie zu ganz verschiedenen Geschöpfen gemacht. Das Weib, und die Linke, werden von Jugend auf daran gewöhnt, ihrem Zwillingsbruder den höheren Rang einzuräumen. Der Mann, und die rechte Hand, beide lernen das Schwert führen, Gesetze schreieben und den Hammer schwingen; das Weib, und die Linke, werden nur zu den untergeordneten Beschäftigungen zugelassen. Man sagt: beide seien schwach; aber es ist nicht wahr! Durch die Schuld der Erziehung, durch den Mangel an Übung, durch das Entziehen jeder kräftigen Entwickelung sind sie geschwächt worden. Verbannt euer Vorurteil, und ihr sollt unsere Kraft anstaunen! Seht nur zu, wenn durch ein Unglück der rechte Arm abgehauen wird; seht nur zu, wie durch Gewohnheit und Übung die Linke ihn ersetzen macht! – Und gibt es nicht viele Menschen, welche die Herrschaft der linken Hand und das Hausrecht der Frau überlassen haben? Merkt ihr etwa einen Unterschied? – O, nur an eurer Erziehung liegt die ganze Schuld! Würdet ihr von Jugend auf den beiden Händen gleiche Beschäftigung einräumen, so würde auch die Kraft eine gleich starke. Aber ihr fürchtet, wenn ihr die Linke emanzipiert, eure Rechte darunter leiden zu sehen. Ihr wollt die Rechte als Oberhand behalten und drückt lieber ein Auge zu, wenn die linke Hand schwach ist und einen Missgriff sich zuschulden kommen lässt. – »Was die Linke tut, soll die Rechte nicht wissen!«, sagt ihr dann mit nachsichtigem Lächeln. – Verdorbenes Geschlecht! Glaubt ihr, die Götter nennen euch die Rechten? Euch, denen das Recht ganz fremd ist?

5. März 1838

Glückliches Männergeschlecht, dessen Herz noch ein anderer Beruf füllt als – die Liebe; unglückliche Frauen, deren Ein und Alles sie ist! Von der Wiege bis zum Grabe ist sie der Mond, der ihren Weg beleuchtet; und wie der Nachtwandler folgen wir den Strahlen dieses Mondes unbewusst und träumend bis zu den höchsten Zinnen des Lebens, bis zu den jähesten Abgründen des Unglückes. Wehe uns, wenn der Mond erlischt, wenn wir plötzlich aus unserm Traume geweckt werden! Wir sind unrettbar dann verloren; zerschmettert sinken wir zu Boden. Dem Manne aber ist die Liebe nur ein Stern; so lange er scheint, ergötzt er sein Auge an seinem Glanze; und wenn er untergeht, so blinken tausend andere ihm entgegen: Ehre, Ruhm, Humanität, Wissen und Tatenlust.

Warum gebärt in der Brust des Weibes die höchste Liebe oft den höchsten Hass? – Eben, dass die Extreme sich so berühren, ist ein Beweis, dass das Gefühl der Frauen zu einer weit höheren Spitze emporschwillt als das Gefühl des Mannes. Der Blitz wirft seinen verheerenden Strahl meist in die höchst gelegenen Türme und in die Wipfel tausendjähriger Rieseneichen, während die niedrig gelegene Bauernhütte und Blumenstaude davon verschont bleiben. Der Hass eines Weibes gleicht dem leuchtenden, schnell tötenden Blitze, weil seine Liebe eine Eiche ist; die Liebe des Mannes ist ein Krüppelholz; darum gleicht sein Hass dem langsam verzehrenden Kohlenfeuer, dessen Dasein sich unter der Asche tückisch verbirgt.

19. März 1838

Zu den Erbfeinden des weiblichen Geschlechts gehört – die Tinte. Die meisten Frauen wissen, welche Gefahr es ist, wenn ein Tintenfleck in das Weißzeug sich eingefressen hat. Man hat so viele Mittel vorgeschlagen, die Tintenflecke zu vertreiben: Zitronensaft und Kleesalz; aber erfahrene Hausfrauen wissen, dass diese Mittel über Kurz oder Lang die schlimmsten Spuren, nämlich: Löcher, zurücklassen. Aber noch eine andere Art von Tintenflecken gibt es, die den Frauen weit weniger bekannt sind, obgleich sie weit schädlicher und zerstörender sind als die gewöhnlichen. Ich meine jene Tintenflecke, die in das weiße und reine Gewebe der weiblichen Phantasie sich eingefressen haben; jene schwarzen Tintenflecke, die aus Romanen und ähnlichen Schriften in das leicht erregte Herz eines jungen Mädchens getropft werde. Hier hilft alles Reiben nichts; der Zitronensaft trauriger Verhältnisse, das Bittersalz des Zwanges verschlimmern das Übel und fressen Löcher in ein Herz, dessen Fäden allzu fein sind, um diesem Konflikte zu widerstehen. Solche Tintenflecke haben manches Gemüt zerrissen, wenn törichte Eltern mit Lauge, Seife und Bürste es zu reinigen versuchten. Nur Zeit und freie Luft können diese Flecke bleichen; nicht der Gewalt, der Sorgfalt nur werden sie weichen. Eltern und Gatten sollten dies bedenken und darnach sich richten.

»Bettinas Briefe an Goethe« mögen bei Männern Wohlgefallen, Bewunderung, Enthusiasmus erregen; das Gemüt der Frauen fühlt sich bei dieser Lektüre verletzt. Der Mann, sei es nun, dass er sie für eine poetische Fiktion oder als eine durchlebte Wirklichkeit betrachtet, genießt sie, wie man ein Kunstwerk genießt, ruhig und unbefangen. Der weibliche Sinn aber ist befangen und verwundet, wenn er sieht, wie unverhohlen Bettina ihre Glut gegen einen Mann ausspricht, der sie durch die abgemessene Kälte seiner Briefe gar nicht dazu auffordert. Geist und Gemüt sind zwei Engelsschwingen, die das Weib über die niedrigen Schranken der Verhältnisse erheben können; Frauenwürde und edle Weiblichkeit müssen jedoch dem Mittelpunkte eine Schwerkraft verleihen, sonst verwandeln sich die Engelsschwingen in Schwalbenflügel, deren Flug mehr der Erde als dem Himmel sich nähert. Darum haben in England, wo die Charaktere ausgeprägter und fester geschieden sind als bei uns und der britische Stolz den weiblichen noch erhöht, »Bettinas Briefe« eine so harte Verurteilung gefunden.

23. März 1838

Es gibt Männer, welche die Schmeichelei als eine Zauberrute betrachten, bei deren Berührung jedes weibliche Herz sogleich sich öffnen muss. Wohl sind die Frauen nicht von Eitelkeit ganz frei; aber eben diese Eitelkeit macht nicht selten ihre Brust gegen das Eindringen der Schmeichelei verschlossen. Frauen von Geist durchschauen die Absicht der schmeichelnden Männer und finden sich verletzt durch die Leichtgläubigkeit, die man ihnen zutraut.

Die Geschichte nennt die Namen so vieler Helden und nur so weniger Heldinnen; und dennoch übersteigt die Zahl dieser bei weitem die Anzahl jener. Die Welt hat nur den rechten Standpunkt der Beurteilung noch nicht gefunden. Man verbindet gewöhnlich mit dem Worte »Held« die Idee eines Menschen, der den Tod nicht fürchtet und der für die Sache, die seine Brust erfüllt, zu sterben bereit ist. Aber es ist viel leichter, für eine Sache zu sterben, als für sie zu leben. Tausende von Menschen würden für ihre Religion freudig in den Tod gehen; aber nach ihren Vorschriften zu leben, vermögen nur wenige über sich. Der eigentliche Held bewährt sich nicht darin, dass er den Tod, sondern dass er das Leben nicht scheut. Darin sind die Frauen groß und unübertroffen. Das stille, unbemerkte Leben mancher Frau ist eine Kette glänzender Heldentaten, und mancher Leidenstag ist das Siegesdenkmal einer Schlacht, in der so viele ruhmgekrönte männliche Helden unterlegen wären. Die Zahl männlicher Märtyrer kann die Geschichte aufzählen; für die Zahl der weiblichen sind ihre Blätter zu eng.

Ein Triumph, den unser Geschlecht sich in diesem an Aufklärung so reichen Jahrhunderte selbst bereitet hat, besteht darin, dass das Schminken in den höheren Kreisen der weiblichen Welt außer Mode gekommen ist. Die Schminke ist eine Erfindung, bei deren Gebrauch eine Frau nicht durch Kunst erröten soll, sondern aus Natur; während die Schminke die eine Wange bedeckt, sollte Schamröte die andere färben. Kaum sollte man es glauben, dass eine edle Frau ihre Würde so weit vergessen kann, zu solchen Täuschungen ihre Zuflucht zu nehmen um zu gefallen. Ein weibliches Wesen, welches sogar ihre Außenseite mit lügnerischem Firnisse zu bedecken nicht verschmäht, kann unmöglich eine günstige Meinung über ihr inneres Wesen erwecken; und in der Tat, alle die vorurteilsvollen Bemerkungen über die Falschheit des weiblichen Herzens, die wir in so vielen Büchern und von so vielen Männern aufgetischt bekommen, sind leicht zu verzeihen, wenn man eine geschminkte Frau zu Gesichte bekommt. – Warum sind die Männer zu stolz, durch solche Mittel unser Wohlgefallen erwerben zu wollen? Ist der Stolz des Weibes minder edler Art als der des Mannes? Zeigen und erklären wir uns nicht selbst als untergeordnete Geschöpfe, indem wir zu Mitteln greifen, die die Männer verachten? – Man sollte doch einmal in einer Gesellschaft geschminkter Damen Schillers »Würde der Frauen« lesen! Ich glaube, trotz aller Schminke würden die Gesichter in verschiedenen Farben spielen! – Schätzen wir uns glücklich, dass diese entartete Mode den Sonnenblicken unserer modernen Zeit weichen muss, und dass sowohl in Paris als in verschiedenen deutschen Städten die Sitte bereits begründet ist, dass jede Dame von Stand und gutem Tone es unter ihrer Würde hält, sich der Schminke zu bedienen! – Das ist ein großer Schritt zur wahren Emanzipation: zur Emanzipation unser selbst!


Textnachweis
Aus: Der (Wiener) Telegraph
II. Jg., Nr. 121, 9. Oktober 1837, S. 500.
II. Jg., Nr. 122, 11.Oktober 1837, S. 504.
II. Jg., Nr. 127, 23. Oktober 1837, S. 524.
II. Jg., Nr. 142, 27. November 1837, S. 586.
II. Jg., Nr. 5, 10. Januar 1838, S. 20–21.
II. Jg., Nr. 28, 5. März 1838, S. 116.
II. Jg., Nr. 34, 19. März 1838, S. 140.
II. Jg., Nr. 36, 23. März 1838, S. 148.
(Die Orthografie wurde der neuen deutschen Rechtschreibung angepasst, die Interpunktion behutsam modernisiert. Offensichtliche Satz- und Druckfehler wurden stillschweigend ausgebessert.)

Titelbild
Detail aus: Amalia Lindegren, Augusta von Fersen, 1844

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