Lob des Schmerzes

von Charlotte Löw

Du mächtiger König mit dem blutgefärbten Purpur, dessen Palast gebrochene Herzen sind, dessen Gefolge Jammer und Tränen bilden, dessen Hofstaat aus bleichen Wangen und hohlen Augen besteht, auf deinem Altare will ich jetzt Weihrauch opfern!

Lobt man doch die Nacht und die Finsternis; lobt man doch den Winter mit seinen alles Leben zerstörende Frösten; lobt man doch Regen, Sturm und Ungewitter und all die Schattenseiten des Lebens, die dem Lichte zur Folie dienen – warum nicht auch ein Wort des Lobes für den Schmerz?

Das Ungetüm »Schmerz« ist für die menschliche Brust das, was die Seeungeheuer für die Tiefe des Meeres sind. Ohne diese raubgierigen Larven würde das große Weltmeer zu einem Pest aushauchenden Sumpfe, der mit polypenartigen Armen das ganze Weltall umfasste, dass es ersticke in seinen Umarmungen. Aber jene furchtbaren Seebewohner reinigen das heimatliche Element von dem Aase toter Fische und retten es von dem tötenden Dunste der Fäulnis. Also auch der Schmerz. Wie er auch mit seinen furchtbaren Flossen unsere Brust peitscht, dass es zum Himmel spritzt; so reinigt er doch unser Herz von den verpesteten Dünsten, die Zorn, Neid, Rachsucht und tausend andere Leidenschaften darin zurückgelassen haben. Wohl wühlt er unbarmherzig in unserem Innern; aber er gleicht dem Spaten des Bergmannes, der die reichsten Goldadern im Schoße der Erde entdeckt; – ein neues, längst verschüttetes Herculaneum steigt plötzlich ans Licht, eine Welt von Wundern erschließt sich; und indem wir mit ihm ringen, werden wir erst die kostbaren Schätze gewahr, die sich in der Menschenbrust gebettet haben. Er ist es, der den trägen Schläfern das »Erwache!« zudonnert, und geschäftig, gleich Bienenschwärmen, kreuzen sich Gedanken und Empfindungen in dem früher so wüsten Raume. Wohl gibt uns der anfangs überlegene Feind viel zu schaffen; doch an seiner Kraft stählt sich unsere Stärke; zum riesigen Kampfe aufgefordert, stehen uns auch außerordentliche Mittel zu Gebote, und wie die Lawine im raschen Sturze sich immer vergrößert, indem zum kleinen, unbedeutenden Schneeflocken sich Myriaden seiner Brüder gesellen, so vergrößert sich auch die Sicherheit unsers Innern durch die Aufforderung von außen. Unsere frühere stille Welt ist zwar zerstört; unsere geweckten tatkräftigen Gesinnungen hingegen schaffen sich neue Welten. Das früher unfruchtbare, brachgelegene Feld unserer Gedanken wird neu bebaut; mit schaffendem, emsigen Fleiße wird jedes Plätzchen urbar gemacht, um jetzt, durch unser eigenes Selbst, das in uns nun üppig blühende Leben zum keimenden, wuchernden und reifenden Saatfelde zu gestalten.

Nur im Schmerze beurkunden wir unsere göttliche Abstammung. Durch seine Gluten geläutert, gleichen wir dem Demant an Glanz und Klarheit; – die unreinen Schlacken unsers Innern hat sein Feuer verzehrt! Selbst die Freude, dieser ewige Antipode des Schmerzes, muss zur festeren Gründung ihres Reiches den Schmerz als Grundlage nehmen, wenn nicht die Pfosten ihres Thrones wanken, wenn nicht Gewohnheit und Stumpfsinn bald die Säulen ihres Palastes zernagen sollen! – Im Schoße des Glückes reift der Mensch keiner Vollkommenheit entgegen. –

Kein Schmerz, und wäre er der höchste, dauert ewig; die Zeit gleicht der Baumwolle, die um den Pfeil sich legt und auch die schärfste Spitze abstumpft und überwindet. Der überwundene Schmerz aber hat sich zu einem andern Wesen in unserem Innern gestaltet. Gleich der Raupe hat er sich eingesponnen, und von seinem Dasein gibt nur die Schwermut Kunde, die mit ihrem grauen Nebelschleier (sein Kokon) ihn bedeckt und deren milden Reflex wir so oft als Stempel höheren Seelenadels auf dem bleichen Menschenantlitze bewundern. Das Leben wird erst unser, wenn es sich wieder erzeugt in unserm Innern. Der Schmerz ist der edelste Reiz, der uns gleichsam zum Wettkampfe auffordert, die Verheerungen unsers Innern durch neues Leben zu ergänzen; – und er ist es wieder, der Herz und Geist mit seltener Produktivität begabt. Nennet ihn daher nicht den Verheerer, den Würgeengel unseres Lebens! – Er erschließt uns neue, unversiegbare Lebensquellen, lässt unsern Sinn zu jener Reife und Vollkommenheit gedeihen, durch welche Erdenleid und Erdenschmerz leicht besiegt werden, und bereitet uns endlich würdig zur letzten Katastrophe vor, wo aller Kampf und alles Mühen ein Ende hat und wo wir, Erdenleid und Erdenfreude tief unter uns lassend, das endliche Ziel unserer Wanderung erreichen.


Textnachweis
Aus: Der Wiener Telegraph, III. Jg., Nr. 16, 5. Februar 1838, S. 66. (Die Orthografie wurde der neuen deutschen Rechtschreibung angepasst, die Interpunktion behutsam modernisiert. Offensichtliche Satz- und Druckfehler wurden stillschweigend ausgebessert.)

Titelbild
Detail aus: Amalia Lindegren, Augusta von Fersen, 1844

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