Gedichte und Lieder

von Charlotte Löw

Verlorne Mühe

Jüngst sah er im Auge ihr glänzen
Die Träne, perlenhell;
Der Wehmut schien sie entsprungen –
Ein bittersüßer Quell.

Viel Fischlein drinnen baden
Auf seinem so düstern Grund:
Die Fischlein sind die Gedanken,
Gefleckt, wie Forellen, so bunt.

Schnell ward er lüstern, zu fischen
In diesem Gedanken-Meer.
Auswarf er das Netz und die Angel;
Er zog sie heraus – doch leer!

Und wieder glänzte im Auge
Die Trän’ ihr, perlenhell;
Doch lachend spitzt sich ihr Mündchen –
Geschwätzig spricht es und schnell:

»Gedanken wirst nimmer du raten,
Kündet sie dir nicht der Mund.
Im Trüben wirst du stets fischen,
Gibt der Gedanke im Wort sich nicht kund!«

Lieder

I.

Wenn ich auf meinem Lager ruh’,
Von Schatten eingehüllt,
Dann drück’ ich fest die Augen zu
Und träum’ vom lieben Bild.

Vom Bild, das sonst mit klarem Blick
Mich freundlich angeschaut,
Bis jede Wolke wich zurück,
Die meine Stirn umtaut’!

Von Worten, die beredt und mild
Durchdrangen Seel’ und Herz;
Und oft die Tränen mir gestillt,
Beschwichtigt oft mein Herz.

Wohl blicket klar noch jetzt das Bild,
Das Wort entströmt dem Mund;
Doch dass die Ferne sie umhüllt,
Das drückt das Herz mir wund.

Drum wenn ich auf dem Lager ruh’,
In Schatten tief verhüllt,
So drück’ ich fest die Augen zu
Und träum’ vom lieben Bild.

II.

Könnt’ ich das Herz heraus mir heben
Aus meiner grabesstillen Brust:
Wie wollt’ ich gute Wort’ ihm geben,
Bis es erwacht zu neuer Lust!

Wie wollte ich es eifrig pflegen,
Ihm Lieb’ einhauchen, glutenheiß,
Bis es in lebenswarmen Schlägen
Sich regte aus dem starren Eis!

Doch eingesargt im kalten Schreine,
Der Totenwürmer sich’rer Raub,
Verschlossen jedem Hoffnungsscheine,
Zerfällt es bald in leichten Staub.

In Staub, aus dem nicht Halm noch Blüte
Mit frischem Dufte je entquillt;
Die Brust, die einst vulkanisch sprühte,
Hat tote Lava jetzt gefüllt.

Kein Frühling

Wie es schwillt aus jeder Knospe,
Aus den Keimen steigt’s empor;
Wie es zwitschert in den Zweigen,
Freudig grüßt es Aug’ und Ohr.

Auch die Schwalben kommen wieder,
Und der Storch baut hoch sein Nest;
Und die bunten Schmetterlinge
Schwärmen froh nach Ost und West.

Blüte dränget sich an Blüte,
Zweig um Zweig die Arme schlingt;
Liebesfreuden, Lebensfreuden
Junger Frühling mit sich bringt.

Nur ein Veilchen tief im Busche
Steht vereinzelt da und sinnt,
Matten Blicks, gesenkten Hauptes,
Perlentau es leis’ durchrinnt.

Perlen, sagt man, deuten Tränen,
Tränenperlen künden Schmerz;
Armes Veilchen! ach ich ahne,
Was so früh zerknickt dein Herz.

Ungestillter Sehnsucht Schauer,
Rieselt kalt im Busen dir,
Und nach Sonne und nach Wärme
Lechzest du vergebens hier.

Sehnsucht schleicht gesenkten Hauptes
Mit dem tränumflorten Blick;
Schmerz weiß nichts von Lenzesjubel,
Sehnsucht nichts von Maienglück.


Textnachweis
Verlorne Mühe, aus: Der Wiener Telegraph, III. Jg., Nr. 8, 17. Januar 1838, S. 31.
Lieder, aus: Der Wiener Telegraph, III. Jg., Nr. 76, 25. Juni 1838, S. 309.
Kein Frühling, aus: Camellien. Almanach für 1840, Prag und Berlin [1839], S. 363–364.
(Die Orthografie wurde der neuen deutschen Rechtschreibung angepasst, die Interpunktion behutsam modernisiert. Offensichtliche Satz- und Druckfehler wurden stillschweigend ausgebessert.)

Titelbild
Detail aus: Amalia Lindegren, Augusta von Fersen, 1844

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