Ehret die Frauen!

von Charlotte Löw

Auf, meine teuren Schwestern! Heran zu mir, unter meiner Fahne sollt ihr euch versammeln! Mit starker und kräftiger Hand will ich sie schützend über eure Häupter schwingen. Einer zweiten Wlasta gleich, will ich euch mit scharfen Waffen versehen, mit Waffen, gegen die eine Toledo-Klinge stumpf wie ein Beil, gegen die ein echter Damaszener ein schwerfälliger Dreschflegel sein soll. Lasst uns kämpfen gegen das Los der Erniedrigung und Bedrückung; stolz wollen wir uns erheben, wie der königliche Aar, der, im blauen Äther kreisend, die Kraft seiner Schwingen wachsen fühlt, je mehr er sich der Himmelskönigin – der Sonne – nähert. Unsere Waffe sei: Vernunft; unser Feldgeschrei: Anerkennung; und die Schutzgöttin unseres Heeres: die Ausdauer. Sie, die weiblicher Abkunft ist, wird schützend und schirmend unserem Heere voranziehen; in ihrem Schutze werden wir all die Unbilden rächen, die uns seit so viel hundert Jahren von unseren Widersachern, dem Männergeschlechte, zugefügt wurden. Die beiden Reiche: Liebe und Treue sind unsere Verbündeten. Und so wollen wir es denn im offenen, redlichen Kampfe versuchen, wollen uns das durch die Kraft unsere Waffen erringen, was Vorurteil und alte Gewohnheit uns vorenthalten!

Sagt mir, ihr, die ihr euch die »Herren der Schöpfung« nennt, was euch berechtigt, unsere geistige Freiheit in Fesseln zu legen, uns gleich dem Prometheus am Felsen anzuschmieden, uns gleichsam nur als Mittel und euch als Zweck der Schöpfung zu betrachten? Etwa darum, weil die Fackel der Vernunft ebenso hell unserem Geiste strahlt als dem eurigen? Prometheus beging nicht für euch allen den Raub; nicht für die eine Hälfte der Menschheit stahl er das göttliche Feuer vom Himmel; nicht für die eine Hälfte litt er unsägliche Qualen. Den himmlischen Raub verteilte er brüderlich in gleiche Teile; und nur in eurer physischen Kraft, in dem, was der Erde angehört, steht ihr über uns: Geistig können wir uns immer mit euch messen. Sagt mir, ihr freien Herren der Schöpfung, ob ihr von euren Begierden und Leidenschaften nicht abhängiger seid als das in euren Augen so schwach dastehende weibliche Geschlecht! Wenn durch die leiseste Anregung von außen Zorn und Heftigkeit euer Gemüt ergreift, flüchtet sich das schwache Weib, schwach durch seine physische Schwäche, unter die Fittiche ihrer sie stets begleitenden Genien: Sanftmut und Geduld; und siehe da! der brüllende, zürnende Löwe wird zum ruhigen, freundlichen Schoßhündchen und lässt sich herab, Abbitte sogar da zu tun, wo vielleicht einmal das Recht auf seiner Seite war. Wie oft geschah es, ihr Herren der Schöpfung, dass unsere stille Klugheit da Triumphe feierte, wo ihr mit all euren rastlosen Anstrengungen nichts zuwege brachtet! Wie oft gelingt einem Blicke der Milde von uns, das zu bewerkstelligen, was euch durch hartnäckiges Drohen und durch das ewige Pochen auf euer Recht versagt wird! Ein sanftes Wort aus unserem Munde, ein freundlich bittender Blick aus unseren Augen: und in dem soeben schwer erbitterten Gemüte legen sich die Wogen der Aufregung; der Sturm, der soeben die mannhafte Brust durchtobte und zum Orkane heranzuschwellen drohte, hat dem lauen Westwinde Platz gemacht. Und all diese Wunder vollbrachte ein sanftes Wort, zu seiner Zeit gesprochen! Somit ist es von jeher nur den Frauen vorbehalten, die Tugenden Geduld und Sanftmut den rohen Ausbrüchen des Zornes und der Heftigkeit des männlichen Geschlechtes entgegenzuhalten.

Sagt mir, ihr, die ihr euch zu Richtern unserer Handlungen aufwerft, ob ihr die Tränen auch zählt, die, ungesehen von euch, so oft im Auge zerdrückt werden? Sagt, ob ihr die höhere Tugend, die nur in einer Frauenbrust ihre Wohnstätte aufschlägt, die Tugend der Ergebung und Selbstverleugnung, hegt, ob ihr sie nur zu würdigen versteht? Wieviel solche Dulderinnen traget ihr zu Grabe, deren Haupt im Leben wundgedrückt wurde von der Dornenkrone des stillen, verschwiegenen Leides! Als Immortellen schlingen wir um ihre kalten Schläfen den Siegeskranz, den wir erringen werden, den wir erringen müssen, wenn Ausdauer im Guten je den Sieg davontrug. Die Blumen: Sanftmut, Geduld, Ergebung und Selbstverleugnung wollen wir auf ihre Gräber pflanzen. Und wenn der Keim in Wurzeln schießt; wenn diese Gewinde gleich Schlingkraut Gedeihen finden und allmählich in die Höh’ sich ranken; dann mögen sie zu euren Ohren sprechen und euch mahnen an die, welche ihr im Leben verkanntet!

Alle diese Vorzüge, die ich hier aufzählte, müsset ihr uns zugestehen; doch sollten sich nicht auch unsere geistigen Vorzüge mit den euren messen können? Im Gebiete des wahrhaft Großen und Schönen werden gewiss glänzende Meteore am Himmel der Frauenwelt aus dem Weltbuche euch entgegenstrahlen. Oder brauche ich euch erst zu erzählen von Virginia und von der Mutter des Coriolan? Oder ist euch etwa jene Elisabeth unbekannt, unter der England sein goldenes Zeitalter sah? Mit welchen unabsehbaren Beschwerden, mit welchem Faktionsgeiste hatte sie zu kämpfen! Auf vulkanischem Boden, der von Revolution und Parteigängern untergraben war, wusste sie den Thron fest und ungehindert zu behaupten, mit starker und geübter Hand das Staatsruder zu leiten und – ihrer geistigen Überlegenheit sich bewusst – auch ihre Freiheit zu bewahren. Und ist ihr Geist etwa erloschen? Beherrscht nicht auch eben jetzt eine 18jährige Jungfrau das stolze Albion?

Wollen wir im Gebiete der Künste und Wissenschaften uns ergehen: Schulen und Kollegien sind uns verschlossen, das öffentliche Leben kennen wir nur wie aus Zaubermärchen und vom Hörensagen; denn ihr habt ja genugsam dafür gesorgt, dass unser Ruf, und mit ihm auch unser ganzes irdisches Glück, zugrunde geht, wenn wir dem öffentlichen Leben uns anschließen würden. Aber trotz diesem unübersteigbaren Wall von Hindernissen ist es doch schon vielen meiner Schwestern gelungen, einen Lorbeerkranz um ihren Namen zu flechten, obgleich ihre Richter – Männer waren.

Und doch gehören wir nicht vor euer Tribunal! Wir fühlen und denken anders als ihr, müssen daher auch anders handeln! Bei euch ist der Gedanke der Keim des Gefühles; bei uns ist das Gefühl der Keim des Gedankens. Mit jedem Pulsschlage umsegeln wir das Eiland eures Denkens; unser Gefühl ist ein Kompass, der nicht trügt. Mitten durch Klippen und Sandbänke zeigt er uns den gebahnten, fahrbaren Weg. Mit all eurem gepriesenen Denken könnt ihr oft Wogen und Brandungen nicht vermeiden, während wir, in unseren richtigen Takt eingehüllt, gefahrlos auf offenem Meere uns einschiffen können. Vor euer Tribunal gehören wir nicht; denn ihr richtet mit dem Verstande unser Tun und Handeln, und unser Lieben und Leben will nur mit dem Herzen gerichtet sein.

Darum, meine teuren Schwestern, wollen wir uns nicht länger mit schmeichlerischen Hoffnungen trügen! Wir haben zu lange auf ihre Anerkennung geharrt, um noch länger zu harren. Dieses Geschlecht nennt sich das »starke«, aber es ist nur stark in Schwachheiten, so wie es nur konsequent in Inkonsequenz ist. In der Liebe sind sie meist ohne Treue; in der Treue – oft ohne Liebe. Kopf und Herz leben stets in Zwiespalt; was das eine will, ist dem anderen ein Gräuel. Sie geben vor: unsere Liebe sei ihrem Herzen das Teuerste; und doch will ihr Geist sich über uns erheben! Sie prahlen: sie ständen von der Natur über uns gesetzt; und doch liegen sie oft als Sklaven zu unseren Füßen! Es ist ein Geschlecht voll Widerspruch! Es will über uns urteilen und begreift gar nicht uns, die wir stets ganz sind, bei denen Herz und Geist stets eins sind und eine Richtung haben. Nein, meine Freundinnen! Von diesem Männergeschlechte, so wie es jetzt ist, können wir keine Anerkennung erwarten. Wir müssen uns ein neues Geschlecht heraufbeschwören; Vergangenheit und Gegenwart müssen wir aufgeben, auf die Zukunft nur unser Augenmerk richten; – wir müssen uns erst Richter erziehen!

Unter uns gestanden, meine teuren Schwestern! An einem großen Teile der Ungerechtigkeiten, die uns von den Männern zugefügt wurden, sind wir selbst schuld. Warum haben sich die Frauen die Erziehung ihrer Söhne aus den Händen nehmen lassen? Die Erziehung ist weiblichen Geschlechtes und gehört der Mutter zu. Unser Geschlecht war aber schwach genug, sich dieses wichtigen Einflusses zu begeben. Kein Wunder, wenn die Vorurteile gegen uns sich vom Vater auf den Sohn verpflanzten! Im Mittelalter, wo der Knabe bis zum 15. Jahre unter der Obhut der Frauen stand und in der Minnesitte und zarter Tugend von ihnen unterrichtet wurde, da blühten auch Galanterie und Ritterlichkeit. Die Frauen wurden geehrt, ihre Tugenden anerkannt, in Wettgesängen und Wettkämpfen verherrlicht und ihre Gunst als das höchste Gut gepriesen. In unserem zivilisierten Jahrhunderte, wo die Knabenerziehung den Männern überlassen ist, werden dem Zöglinge bald alle jene Unarten gegen unser Geschlecht von seinem Lehrer eingeflößt, mit welchen dieser wieder von dem seinigen erzogen wurde. Und fürwahr! hätte der gute Schiller uns nicht vernünftigerweise besungen, ich glaube: es wäre kein Vers – als von lauter verrückten Liebhabern – auf uns gemacht worden. Und Schiller! – Man weiß, welchen Einfluss seine Mutter auf ihn hatte.

Darum, meine Schwestern, wollen wir von nun an ein so wichtiges Mittel, uns Achtung und Anerkennung zu verschaffen, nicht so leicht uns aus den Händen nehmen lassen; wir wollen die Erziehung unserer Söhne mit leiten! Was können die Männer dagegen einwenden? Mögen sie immerhin durch die Kraft der Verhältnisse imstande sein, den Geist eines Knaben heranzubilden: Herz und Gemüt erhält sein Gepräge am schönsten von der weichen Hand der Frauen. Darum wollen wir in die zarte Brust des Knaben jene lieblichen Keime legen, die unseres Geschlechtes Erbteil sind: Sanftmut, Zartsinn, Liebe und Treue! Wir wollen sie pflegen, dass sie feste Wurzel fassen! Und wenn dann der Knabe zum Manne wird, hinausgestoßen in den frostigen Winter des Lebens, dann werden die Blüten jener Keime ihn erquicken und vor Erstarrung schützen, und dankbar und huldigend wird er sich jenem Geschlechte nähern, dessen edle Eigenschaften er in sein Blut eingesogen hat. Er wird dessen Tugenden verehren; Rohheit und Unsitte werden verbannt sein; und ihre Verbannung ist der Triumph und die Emanzipation der Frauen. Darum auf, meine Schwestern! Rasch zur Tat, die Waffen zur Hand genommen, das Banner entfaltet! »Erziehung« ist das Losungswort!

Gegeben im Reiche unserer Verbündeten: Liebe und Treue.


Textnachweis
Aus: Der Telegraph, II. Jg., Nr. 151, 18. Dezember 1837, S. 621–622. (Die Orthografie wurde der neuen deutschen Rechtschreibung angepasst, die Interpunktion behutsam modernisiert. Offensichtliche Satz- und Druckfehler wurden stillschweigend ausgebessert.)

Titelbild
Detail aus: Amalia Lindegren, Augusta von Fersen, 1844

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