von Thekla Merwin (1887–1944)
Es rauscht der Mai in meinem Traum,
Ein Vogel singt in hellen Nächten,
Voll Blüten steht der alte Baum,
Es rauscht der Mai in meinem Traum,
Der Mond hängt in der Weide Flechten.
Uralter Erde ewiges Spiel,
Du bleibst die Junge, doch wir altern.
O sing dein Lied, so stark und schwül,
Uns Menschen gabst du kurzes Ziel,
Das Los von Mücken und von Faltern.
Wie süß und mild die Blumennacht!
Gewaltige Sehnsucht, längst versunken,
Steigt heiß empor mit neuer Macht.
Ich atme tief, mein Herzschlag wacht,
… Die junge Frühlingsnacht ist trunken!
Und was ich atme – roter Wein!
So rauscht wie eine wundervolle
Musik der Mai durch Sinn und Sein.
… O Menschen, lasst uns Brüder sein,
Bevor uns deckt die dunkle Scholle!
Textnachweis
Aus: Arbeiter Zeitung, 16. Mai 1926, S. 17. (Die Orthografie wurde der neuen deutschen Rechtschreibung angepasst, die Interpunktion behutsam modernisiert. Offensichtliche Satz- und Druckfehler wurden stillschweigend ausgebessert.)
Ach, die gute alte Arbeiterzeitung. Wie schön, dass ich einst noch in ihr lesen durfte.
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