von Alice von Gaudy (1863–1929)
(Zu dem Gemälde Arnold Böcklins)
Ein Eiland steigt aus dunklem Ozean.
Unheimlich finstere Zypressen ragen,
Und nackte Felsen starren himmelan,
Und Wetterwolken wälzen sich heran.
Von wildem Sturmesfittig fortgetragen.
Da nahet einsam auf der Flut ein Boot:
Kein Ruderschlag, kein Segel lässt es gleiten.
Der Kiel gehorcht des Lenkers Machtgebot,
Sein roter Mantel wallt, sein Auge loht,
Er hebt die Arme, weit sie auszubreiten.
Das ist sein Gruß dem stillen Inselland:
Kein Wort entringt sich seinem strengen Munde.
Den Totenschrein auf seines Bootes Rand
Geleitet er zum unbewohnten Strand,
Und senkt zur Gruft ihn, tief im Felsengrunde.
Dort mag der Freund, der nun ein fühllos Nichts,
Zu unentweihtem Sphärenstaub verwehen,
Um einst, am großen Tag des Weltgerichts,
Von stiller Toteninsel zu des Lichts
Erträumtem Paradiese einzugehen ……
Dumpf braus das Meer und bricht sich am Gestein,
Es beugt der Sturm die düsteren Zypressen:
Um Felsengräber flammt des Blitzes Schein,
Er leuchtet – wie ein kurzes Menschensein –
Und stirbt dann hin in ewiges Vergessen.
Textnachweis
Aus: Alice Freiin von Gaudy, Mein Sonnenschein. Dichtungen, Stuttgart 1888, S. 15. (Die Orthografie wurde der neuen deutschen Rechtschreibung angepasst, die Interpunktion behutsam modernisiert. Offensichtliche Satz- und Druckfehler wurden stillschweigend ausgebessert.)
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